Westbalkan-Gipfel in Tirana: Albanischer Volkstanz für Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der EU und der Westbalkanstaaten.

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Wenig überraschend beschloss der serbische Präsident Aleksandar Vučić, sich "aufzuopfern" und am Dienstag doch zum EU-Westbalkan-Gipfel nach Tirana zu fliegen, um "große Schäden" für sein Land zu verhindern. Zuvor hatte Vučić tagelang dafür gesorgt, dass er von EU-Diplomaten und EU-Politikern umgarnt wurde, unbedingt zu kommen.

Vergangene Woche nämlich hatte er angekündigt, den Gipfel zu meiden, weil im Nachbarstaat Kosovo ein Serbe zum Minister ernannt wurde, der nicht von ihm kontrolliert wird. Tatsächlich könnte diese Ernennung verfassungswidrig sein. Doch andererseits war es Vučić selbst, der mitverantwortlich dafür ist, dass am 5. November Goran Rakić, jener serbische Minister, der im Kosovo unter seiner Kontrolle stand, sein Amt zurücklegte.

Vorwürfe von Vučić

"Manchmal überwältigen Emotionen einen Menschen, und man weiß nicht, wie man reagieren soll, wenn jemand monatelang immer wieder Krisen heraufbeschwört", beschuldigte Vučić den kosovarischen Premier Albin Kurti, für die Entwicklung verantwortlich zu sein. "Ich bin aber – auch wenn es vielen so vorkommt – weder albern noch betrunken noch verrückt noch komplett dumm", fügte Vučić hinzu.

Die Zuspitzung im Norden des Kosovo sorgt seit Wochen für Aufregung. Die meisten Serben haben mit Zustimmung Belgrads die kosovarischen Institutionen verlassen. Gleichzeitig werden wieder serbische Parallelinstitutionen im Nordkosovo aufgebaut, obwohl 2013 mit der EU vereinbart wurde, dass diese aufgelöst werden müssen.

Verhandlungskapital

Vučić bezeichnete Kurti zudem jüngst als "Terroristenabschaum". Diplomaten meinen, dass der serbische Staatschef mit dem Boykott der kosovarischen Institutionen durch Kosovo-Serben Verhandlungskapital aufbauen wolle, denn spätestens im nächsten Jahr soll verstärkt an einer Vereinbarung zwischen Serbien und Kosovo gearbeitet werden. An eine Anerkennung des Kosovo durch Serbien glaubt allerdings unter EU-Diplomaten niemand.

Jenseits von den Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo wurde beim Gipfel in Tirana eine Absichtserklärung zwischen Mobilfunkbetreibern der EU und den Ländern der Region zur Senkung der Roamingkosten unterzeichnet, die am 1. Oktober 2023 in Kraft treten soll. Zudem ging es um die Stärkung der Cybersicherheit und um die Position gegenüber Russland. Serbien trägt die Sanktionen nicht mit, kürzlich eröffnete sogar der russische Propagandasender RT in Belgrad eine Zweigstelle. Am Dienstag unterstützten indes Oppositionelle den Protest von unabhängigen Medien wie dem Sender N1 gegen den Druck der serbischen Regierung.

Für einen Skandal im Vorfeld sorgte ein Bericht der EU-Kommission, in dem von den Westbalkanstaaten verlangt wird, ihre Visapolitik an jene der EU anzugleichen. In den vergangenen Monaten waren tausende Menschen aus Staaten, dessen Bürgern Serbien Visafreiheit gewährte – vor allem Indien, Burundi, Tunesien und Guinea-Bissau – in die EU gekommen, nachdem sie zuvor nach Serbien geflogen waren.

Schock in der Region

In dem Bericht der EU-Kommission wird aber nun von Nordmazedonien und von Montenegro gefordert, auch für die Kosovaren Visa einzuführen, so wie dies die EU von den Kosovaren verlangt. Das sorgte für einen Schock in der Region, weil die Kosovaren bisher visafrei in diese Nachbarländer reisen konnten.

Zudem steht die Forderung der EU-Kommission im Gegensatz zu dem Erfolg der deutschen Regierung, die kürzlich bei einem Gipfel in Berlin erreichte, dass Bosnien-Herzegowina versprach, endlich die Visapflicht für die Kosovaren aufzuheben. Für 2024 ist zudem vorgesehen, dass die Schengen-Staaten den Kosovaren Visafreiheit gewähren wie seit Jahren versprochen.

Plan gegen Migration

Im Vorfeld des Gipfels legte die EU-Kommission auch einen Aktionsplan mit 20 Maßnahmen vor – etwa die Verbesserung der Zusammenarbeit bei Rückübernahmen und Rückführungen –, die dazu führen sollen, dass künftig weniger Migranten über die Westbalkanroute irregulär in die EU einreisen.

Bundeskanzler Karl Nehammer, der am Dienstag auch in Tirana weilte, will sogar ein Veto gegen den Beitritt Rumäniens zur Schengen-Zone einlegen, obwohl die meisten Migranten über Ungarn und nicht über Rumänien nach Österreich kommen. (Adelheid Wölfl, 6.12.2022)