Bei der Verkündung ihrer Kandidatur für den Vorsitz des linken Partito Democratico (PD) stimmten die Anwesenden am Wochenende in Rom aus voller Kehle das antifaschistische Partisanenlied Bella Ciao an. Diese Hymne wird in Italien wieder sehr oft gesungen bei linken Veranstaltungen, seit am 25. September die Postfaschistin Giorgia Meloni die Wahlen gewonnen hat.

Elly Schlein kritisiert Giorgia Meloni: "Großer Unterschied zwischen weiblicher und feministischer Leadership."
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Der Sieg Melonis und ihrer ebenso rechten Verbündeten Matteo Salvini und Silvio Berlusconi war ein Schock, von dem sich die italienische Linke bis heute nicht erholt hat. Für viele wirkt die Kandidatur von Elly Schlein deshalb wie eine Erlösung.

Die neue Hoffnungsträgerin hat gleich drei Staatsbürgerschaften: Sie ist geboren und aufgewachsen in Lugano in der Südschweiz, die Mutter ist eine italienische Jusprofessorin, der Vater ein US-amerikanischer Politologe. Sie selbst studierte Rechtswissenschaften in Bologna, wo sie in der Studentenbewegung ihre Lust an der Politik entdeckte.

Erfahrungen im Wahlkampfteam von Obama

Bei den US-Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 engagierte sie sich im Team von Barack Obama. 2014 wurde sie ins Europaparlament gewählt, 2020 gewann sie bei den Regionalwahlen in der Emilia-Romagna vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern derart viele Stimmen, dass sie von Regionalpräsident Stefano Bonaccini zur Stellvertreterin ernannt wurde. Bei den Wahlen am 25. September zog sie dann ins nationale Parlament ein.

Mit ihrer internationalen Vita und ihrem Werdegang stellt Schlein eine Ausnahmeerscheinung in der oft sehr provinziell anmutenden italienischen Politik dar. Und sie zeichnet sich noch durch eine weitere, im PD mittlerweile selten gewordene Eigenschaft aus: Sie steht erkennbar links, sie will einstige Stammwählerinnen und -wähler, die nicht zuletzt wegen so mancher neoliberaler Verirrung der Partei zu Salvinis Lega oder zu Melonis Fratelli d’Italia abgewandert sind, wieder eine Stimme geben. Schlein, die sich als bisexuell bezeichnet und mit einer Frau liiert ist, steht für Mindestlohn, Gleichberechtigung, Steuerprogression, Arbeiter- und Bürgerrechte. Und sie fordert eine radikale ökologische Umkehr – in einer Partei, in der Umweltpolitik für viele bis heute ein Fremdwort ist.

Für ihre Fans ist die 37-jährige Schlein die perfekte "Anti-Meloni" – ein Gegenentwurf zur acht Jahre älteren postfaschistischen Neo-Ministerpräsidentin.

Der Umstand, dass Italien nun erstmals eine Frau an der Spitze der Regierung steht, sei nicht unbedingt eine gute Nachricht für die Frauen, betont Schlein: "Es gibt einen großen Unterschied zwischen weiblicher und feministischer Leadership: Wenn Frauen an der Spitze anderen Frauen nicht helfen, ihre Rechte zu verteidigen; wenn sie nicht für einen gleichen Anteil an der Wirtschaft sorgen und wenn sie ganz generell die zahlreichen noch bestehenden Diskriminierungen nicht erkennen wollen – dann ist für die Frauen wenig gewonnen."

Feindbild der Rechten

In den rechtslastigen Medien Italiens wird die linke Newcomerin bereits zum Feindbild Nummer eins stilisiert. Doch weit mehr als vor rechten Hasskampagnen muss sich Schlein vor den Granden ihrer eigenen Partei in Acht nehmen: Im heillos zerstrittenen und von unverbesserlichen Machos dominierten PD wird in den kommenden Monaten bis zur Wahl des neuen Parteichefs oder der neuen Parteichefin jeder "capo" der unzähligen Parteiflügel mit allen Mitteln um seinen Machterhalt kämpfen.

Zumindest im Moment gilt Elly Schlein eher noch als Außenseiterin. Aber die "Strömungen" innerhalb der Partei interessieren sie nicht – "denn wir sind eine Welle", erklärt die junge "Anti-Meloni" selbstbewusst.

Am 19. Februar wird man mehr wissen: Dann findet die Vorwahl der Parteibasis statt. (Dominik Straub aus Rom, 7.12.2022)