Dominic Thiem: "Vielleicht schafft man es, ein bisschen Offenheit reinzubringen."

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Experte Sebastian Sons: "Saudi-Arabien eifert Katar nach, hat einen aufstrebenden Sportmarkt."

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Daniil Medwedew gewann die erste Ausgabe des Diriyah Tennis Cups im Dezember 2019.

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Dominic Thiem will in den kommenden Tagen für den Ernstfall üben. In dreieinhalb Wochen beginnt die neue Tennissaison, in Melbourne startet am 16. Jänner das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres, die Australian Open. Für Trainingszwecke nimmt Thiem ab Donnerstag an einem Einladungsturnier teil, beim Diriyah Tennis Cup in Riad, Saudi-Arabien. Warum fliegt er dort hin?

"Primär geht es mir um die Matchpraxis gegen gute Gegner", sagt Thiem. Seine Grundschläge trainiert er auch in Österreich, zuletzt tat er das in Traiskirchen und in Oberpullendorf. An beiden Standorten befinden sich Tennisakademien, in denen Vater Wolfgang Thiem eine tragende Rolle spielt. Doch in Saudi-Arabien sind fünf aktuelle Top-Ten-Spieler am Start, darunter Stefanos Tsitsipas und Daniil Medwedew. Zudem kehrt Alexander Zverev nach einer schweren Verletzung zurück, auch Nick Kyrgios und Stan Wawrinka spielen mit.

Das Starterfeld ist hochkarätig. Sky und Eurosport übertragen die Matches ab Donnerstag live. Es riecht nach Tennis, es klingt nach Tennis. Dann ist es wohl auch Tennis. Ein übliches Turnier, oder?

Das saudische Königshaus erlaubt keine Pressefreiheit, das Land ist Kriegspartei im Jemen, der Bevölkerung bleibt das Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt. Kronprinz Mohammed bin Salman will Aufmerksamkeit, Sport ist sein Instrument.

Saudi-Arabien holt sich zwölf der besten Tennisspieler der Welt für einen Schaukampf ins Land. Unterstützung kommt aus Oberösterreich: Sandra Reichel und ihr Vater Peter-Michael veranstalten das Turnier mit ihrer Eventagentur.

"Saudi-Arabien eifert Katar nach", sagt Sebastian Sons, Nahost-Experte beim deutschen Thinktank Carpo. "Das alte Image einer verkrusteten und geschlechtergetrennten Gesellschaft soll abgelöst werden von einem Bild der Moderne: ein Land, in dem junge Menschen gerne Sport treiben, Sport schauen und das ein Zentrum internationaler Großveranstaltungen wird."

Die Eroberung

Tennis ist eine globale Sportart, Veranstalterin Reichel wittert Potenzial. "Der Sport ist in Saudi-Arabien noch kaum bis gar nicht präsent", sagt sie. Experte Sons sieht im Land einen "aufstrebenden und attraktiven Sportmarkt" mit 30 Millionen Einwohnern, der erobert werden kann, erobert werden möchte. Für Sportler stellt sich eine moralische Frage: Inwiefern lasse ich mich für die Zwecke der saudischen Monarchie instrumentalisieren?

Nick Kyrgios hat eine Antwort gefunden. Er wolle eine Spur hinterlassen, viele neue Fans für den Tennissport begeistern. Cameron Norrie wurde von der britischen Presse für seine Zusage kritisiert, dass er lediglich mit Top-Spielern trainieren will, um möglicherweise die Australian Open zu gewinnen. "Ich bin kein Politiker", ließ er wissen. Judy Murray, Mutter des ehemaligen Weltranglistenersten Andy, reist ebenfalls nach Riad. Sie soll dort Tennisschnupperstunden für Mädchen leiten.

Freilich ist ein Antreten beim Diriyah Tennis Cup nicht umsonst. An die zwölf Spieler wird ein Preisgeld von 3,1 Millionen US-Dollar ausgeschüttet. Zum Vergleich: Das gesamte Preisgeld der Erste Bank Open 2022 in Wien betrug in etwa 2,5 Millionen Dollar. 75.000 Dollar hat jeder Teilnehmer fix, acht der zwölf Teilnehmer bekommen dank eines eleganten Turniermodus mindestens das Doppelte ausbezahlt. Der Sieger erhält eine Million Dollar, das ist vergleichbar mit Siegerschecks bei ATP-Masters-Turnieren.

Thiem deutet immerhin an, etwas im Zwiespalt zu sein. Er sagt, er habe die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien bei der Reise im Hinterkopf, es sei "ein schwieriges Thema". "Für mich ist jedes Leben gleich viel wert", sagt er: "Egal, in welche Richtung es geht. Egal, wen man liebt, egal, wie man ist." Seine Hoffnung: "Vielleicht schafft man es, durch solche Events ein bisschen Offenheit reinzubringen." Nach dem Auftritt in Saudi-Arabien wird Thiem zum nächsten Schauturnier weiterreisen. Nach Dubai. (Lukas Zahrer, 7.12.2022)