Vor allem für junge Menschen scheinen "Buy now pay later"-Modelle wie das des schwedischen Fintech-Start-ups Klarna attraktiv.

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Gül stoppte ihre Ratenkäufe und zerschnitt die Klarna-Card.

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Anfang 2022 war Schluss mit lustig für die 25-jährige Gül. Die 600 Euro seien sofort zu zahlen, forderte die App des Zahlungsdienstleisters Klarna sie auf. "Ich hatte das Geld einfach nicht", sagt die Berlinerin. Nur mit der Hilfe ihrer Eltern konnte sie die Schulden begleichen. Gül nahm eine Schere – und zerschnipselte ihre Klarna-Kreditkarte in Stücke. Den Moment hielt sie per Video auf Tiktok fest. Knapp eine Million Klicks zählt der Clip bislang. Für ihre rund 75.000 Follower postet Gül unter dem Namen "guelcoco" sonst Tipps gegen toxische Beziehungen, sie möchte jüngeren Frauen durch Krisen helfen. Ihre ganz persönliche Krise handelte vom schnellen Ratenkauf, der sie in die Schuldenfalle trieb.

Flexibel, aber teuer

Vor allem für junge Menschen scheinen "Buy now pay later"-Modelle wie das des schwedischen Fintech-Start-ups Klarna attraktiv. Besonders beliebt ist das spätere Bezahlen laut einer Studie des Fintechs Credi2 mit 1.000 Befragten aus Österreich und Deutschland bei den 18- bis 34-Jährigen. Mehr als 70 Prozent würden beim Kauf eine Finanzierung in Anspruch nehmen, um ein höherwertiges Produkt shoppen zu können. Die Ratenzahlung oder das Bezahlen nach 30 Tagen nach dem Kauf eines Produkts bieten bereits mehr als 450.000 Händler weltweit an.

Von 2020 auf 2021 stiegen die monatlich per Klarna getätigten Einkäufe mit der Kreditkarte in Deutschland um 105 Prozent. Auch die Schuldnerberatung Wien beobachtet zunehmend Onlinekäufe auf Rechnung – vor allem vor Weihnachten. Viele würden für das Fest einkaufen, das Konto werde aber erst ein Monat später belastet. "Meist hat man danach aber auch nicht mehr Geld am Konto", sagt Schuldnerberaterin Gudrun Steinmann.

Schulden als Statussymbol

Das Abstruse: Der Aufbau von Schulden scheint für manche User und Userinnen fast so etwas wie ein Statussymbol zu sein. Auf Tiktok zählt der Hashtag #klarnaschulden bereits mehr als 45 Millionen Aufrufe. Gül hat das Shoppen auf Raten bereits mit 18 Jahren für sich entdeckt. Sie war Auszubildende für Sozialassistenz, bekam vom deutschen Staat maximal 300 Euro Förderung monatlich. Neue Kleidung wollte sie sich trotzdem leisten können – und entdeckte auf Online-Shopping-Seiten den Klarna-Ratenkauf. In ihrem Warenkorb landeten Kleider für 60 Euro, sie zahlte dafür monatlich sieben Euro ab. "Mit der Zeit fand ich das so flexibel, dass ich immer mehr hinzugefügt habe", sagt Gül. Sie ist trendbewusst, ihr Selbstbewusstsein stieg, wenn sie sich neue Outfits zulegte. Vor Klarna musste sie ewig dafür sparen, mit der App fiel das weg. Irgendwann stand die Rechnung bei 200 Euro im Monat.

Brief vom Inkassobüro

Das ging jahrelang ziemlich gut. Schuhe von Adidas und Nike, Mäntel bei Zara, Kleidung von H&M, Schmuck, Make-up-Produkte und sogar ihre Haarverlängerung konnte sie mit Raten bezahlen. Gül musste wegen der Raten auf andere Aktivitäten verzichten, den Urlaub mit Freunden absagen. Trotzdem hatte sie letztlich einen Klarna-Schuldenstand von 4.000 Euro angesammelt. Nur mit der Hilfe ihrer Eltern, vielen Teilzahlungen und Raten konnte sie den Berg abzahlen.

Auch die 17-jährige Schülerin Marlene aus Wien berichtet von einer Spirale aus immer mehr Schulden durch das "Buy now pay later"-Modell. Auf Tiktok postete auch sie ein Video: "Gefühlt 10.000 € Klarnaschulden". In der Corona-Zeit wollte sie sich mit Kleider-Shopping ablenken. Das Taschengeld reichte nicht, also bestellte sie auf Rechnung mit Klarna, obwohl die Nutzung des Dienstleisters erst ab 18 Jahren erlaubt ist. "Ich klickte an, dass ich 18 Jahre alt bin, mein Ausweis wurde nicht kontrolliert", sagt Marlene. Im Sommer hatte sie dann mehrere Hundert Euro Schulden angehäuft, ein Brief vom Inkassobüro kam. Für ein T-Shirt, das regulär 20 Euro kostete, musste sie letztlich 80 Euro hinlegen. Marlene fand sich in einem Teufelskreis aus Bearbeitungsgebühren, Zinsen und Mahn-Mails wieder. Schließlich musste sie sich ihren Eltern anvertrauen. "Ich habe gelernt. Ich werde das nie wieder machen."

Es läppert sich

Schuldnerberaterin Steinmann hält Finanzworkshops an Schulen. Auch dort wird sie immer öfter mit dem Thema "Klarnaschulden" konfrontiert. Eine Schülerin etwa hätte Möbel und Kleidung auf Rechnung gekauft, nun fehle ihr das Geld, um die Rechnung zu begleichen. Besonders riskant sei es aber, wenn man viele kleine Beträge für Kleidung, Schmuck und Ähnliches anhäufen würde. "Da kann man schnell mehrere Hundert Euro im Monat an Raten erreichen", warnt Steinmann.

Wenn Menschen zu ihr in die Schuldnerberatung kommen, stellt sie deren Einnahmen und Ausgaben gegenüber, versucht Einsparungspotenzial zu finden. Je nach Schuldenhöhe empfiehlt sie dann Rückzahlungsvarianten: Raten, Abschlagszahlungen oder individuelle außergerichtliche Einigungen. Vor allem versuche sie aber, mit den Workshops präventiv gegen Verschuldung aufzuklären.

Klarna selbst will in der eigenen Statistik keine alarmierenden Zahlen bemerkt haben: Von den Nutzern zwischen 18 und 25 Jahren gingen im ersten Halbjahr 2022 nur 1,6 Prozent der "Pay later"-Fälle an ein Inkassobüro. 10,5 Prozent der jungen Menschen würden Mahnraten erhalten. Dennoch versucht man eine Imagekorrektur durch konkrete Maßnahmen, obwohl man den viralen Content, laut Unternehemsnkreisen in erster Linie als ironisch wahrnehme und selbst auf Tiktok werbe. Ein Transparenzblog wurde gestartet, dazu hat das Unternehmen häufigere Erinnerungen in den Mahnprozess integriert. Auch die automatisierte Bonitätsprüfung wurde verschärft und das Zahlen auf Rechnung von 14 auf 30 Tage verlängert.

Trickreiche Umgehung

Sowohl Gül als auch Marlene konnten eine Zeitlang wegen ihrer Schulden nichts mehr mit Klarna bestellen. Trotzdem gelang es Gül in ihrer extremsten Shoppingphase, die Kontrollmechanismen immer wieder zu umgehen. Indem sie etwa einen neuen Klarna-Account mit einer anderen E-Mail-Adresse und dem gleichen Konto eröffnete. Oder sich die Konten mit Freunden teilte.

Heute ist Gül Teilzeitangestellte in einer Kindertagesstätte, als Nebentätigkeit kreiert sie Content für Tiktok. Die gefilterte Social-Media-Welt sei stark auf Konsum ausgerichtet, das würde die Käufe nochmals stark anreizen, sagt sie – selbst wenn man das Geld dafür nicht verdiene. "Man sieht, die einen haben Gucci und Louis Vuitton, das will man dann auch haben." Mit ihrem Video mit der zerstörten Karte hofft sie, andere junge Menschen vor der leichtfertigen Nutzung von "Buy now pay later"-Modellen zu bewahren. Heute kann sie Geld für den Urlaub zurücklegen oder die Tierarztkosten für ihren Kater zur Seite legen. Auch der Führerschein war mittlerweile drin. Wenn sie heute Kleidung kaufen will, lässt sie sich Zeit und spart: "Ich schätze es dann aber auch umso mehr, wenn ich mir die Sachen leisten kann." (Melanie Raidl, 8.12.2022)