15. Juli 2020: Proteste von LGBTQ-Aktivisten und -Aktivistinnen in Moskau.

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Nun hat Russlands Präsident Wladimir Putin das umstrittene Gesetz unterzeichnet: Jede "LGBTQ-Propaganda" ist in dem Land nunmehr verboten. Wer gegen das Gesetz verstößt, soll bis zu 200.000 Rubel (knapp 3.200 Euro) Strafe zahlen müssen. Bislang war "Homosexuellen-Propaganda" nur gegenüber Minderjährigen verboten. "Jedes Werben für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen wird Konsequenzen haben", erklärte Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des Unterhauses des russischen Parlaments, jetzt. Die LBGTQ-Gemeinde ist entsetzt.

Von "völliger Einschränkung der Freiheit" spricht der 40-jährige Alexandr, der in Moskau lebt und im IT-Bereich arbeitet. "Wir werden zu dem kommen, was es in Ländern wie Nordkorea, China und Iran gibt." Er befürchtet hohe Strafen. "Aufgrund meiner Situation, meines Alters und meiner finanziellen Möglichkeiten würde ich dann das Land innerhalb weniger Wochen verlassen."

"Mein Leben wurde zerstört"

Denis, 42 Jahre alt, ist bereits nach Kasachstan ausgewandert. Als Schwuler fürchtete er besonders, dass er zur Armee eingezogen werden könnte. "Mein Leben wurde von diesem Staat zerstört, buchstäblich gebrochen. Ich habe jetzt meinen Lieblingsjob nicht mehr, meine Freunde haben sich getrennt, meine Eltern sind weit weg, und ein geliebter Mensch ist nicht bei mir. Es wird nie wieder so sein, wie es früher war."

Die russische Gesellschaft ist mehrheitlich homophob. Nach wie vor. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen. 74 Prozent aller Russen glaubten noch 2011, Homosexualität sei eine Perversion, eine Geisteskrankheit. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts vom Oktober letzten Jahres sind 69 Prozent aller Russen gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Verbot für "Lolita"?

Das neue Gesetz soll für Medien, Literatur, Kino und Werbung gelten. Nach Duma-Angaben werden Webseiten mit verbotenen Informationen gesperrt. "Filme, die derartige Beziehungen bewerben, werden kein Vertriebszertifikat bekommen", heißt es. Unternehmen der russischen Filmproduktion und Buchverlage hatten sich vor der Verabschiedung des Gesetzes besorgt gezeigt. Es könne sogar zum Verbot von russischen Klassikern wie Vladimir Nabokovs Roman "Lolita" führen.

Weil das Gesetz so offen formuliert ist, könnte es theoretisch auf alle möglichen Handlungen angewendet werden, erklärt der Jurist Wladimir Komow von der Organisation Delo-LGBT+ – ob auf schwule und lesbische Liebesgeschichten in Kinofilmen oder auf Fotos in sozialen Netzwerken. Er geht davon aus, dass vor allem in der ersten Zeit in hoher Anzahl Privatpersonen verurteilt werden, um ein Exempel zu statuieren.

Konsequenzen für ihn als Schwulen befürchtet auch Wladimir, ein 36-jähriger Rechtsanwalt aus Sankt Petersburg. "Meiner Meinung nach ist in diesem Gesetz nicht ganz klar geregelt, wer und was wem verboten wird. Selbst wenn Sie sich einige sowjetische Filme ansehen, sogar über die Kriegszeit, wo Männer einander umarmen und küssen, fallen sie auch unter das Gesetz, obwohl diese Filme von den Russen heiß geliebt werden." (Jo Angerer aus Moskau, 7.12.2022)