Die Missstände sind zuerst im Mädchenheim in Martinsbühel in Zirl bekannt geworden.

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Innsbruck/Zirl – Nachdem sich ein 400 Seiten starker Forschungsbericht mit Gewalt in konfessionellen Heimen in Tirol nach 1945 auseinandergesetzt hat, räumt Bischof Hermann Glettler "pädagogisches Totalversagen" in kirchlichen wie auch in staatlichen Einrichtungen ein. Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) bat "alle Betroffenen um Verzeihung für das, was damals in den Heimen passiert ist". Anlass für die Aufarbeitung waren bekanntgewordene Missstände im Mädchenheim in Martinsbühel in Zirl.

"Thema Gewalt ins Bewusstsein holen"

"Mein Mitgefühl gilt allen, die in den Heimen traumatisiert wurden", sagte Innsbrucks Diözesanbischof Glettler, der auf die Einrichtung einer unabhängigen Opferschutzkommission verwies. "Zahlreiche Personen, von denen einige im Bericht ihre dramatischen Erfahrungen schildern, wurden von dieser Kommission angehört und haben Unterstützungszahlungen erhalten. Ebenso wichtig war die sofortige Einrichtung von Ombudsstellen in allen Diözesen und die Erarbeitung von Präventionskonzepten, die ständig aktualisiert werden", meinte er.

Pawlata hielt fest, dass man alles dafür tun müsse, dass so etwas nie mehr vorkomme. "Dazu müssen wir das Thema Gewalt, auch strukturelle Gewalt, noch deutlicher ins Bewusstsein holen und dafür sensibilisieren – und das Tag für Tag", sagte die Landesrätin, die früher Leiterin des Gewaltschutzzentrums Tirol war. Seither wurde etwa eine Kinder- und Jugendanwaltschaft eingerichtet. Man müsse die finanziellen Ausstattungen in den Heim-, Betreuungs- und Bildungsstätten für unsere Kinder weiter sichern und ausbauen. Außerdem werde es eine Enquete geben, um Betroffenen eine öffentliche Aufmerksamkeit zu geben, die offenbar gewünscht werde.

Land und Kirche

Der Bericht von Ina Friedmann und Friedrich Stepanek umfasst 75 Interviews mit Menschen, die entweder selbst in einem der sieben untersuchten Heime gelebt haben, dort gearbeitet haben oder sonstige Auskünfte zu den damaligen Geschehnissen geben konnten. "Es wird aufgezeigt, dass die Strukturen in den Heimen verschränkt mit den strukturellen Bedingungen von außen – dem Land, der Kirche –, aber auch der Interaktion von Ordensschwestern und deren Übergeordneten Auswirkungen auf die Heimkinder hatten", sagte Margret Aull, Vorsitzende der zur Aufarbeitung eingesetzten Dreierkommission. "Die Schilderungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner machten uns deutlich, dass eine angstbehaftete und gewaltgeprägte Atmosphäre vorherrschte", berichtete sie. Befragte sprachen von struktureller, physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt. (APA, 7.12.2022)