Österreich konkurriert mit Deutschland etwa bei Autoteilen. Müssen die Beihilfen nun angehoben werden?

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"Vielen Unternehmen steht das Wasser bis zum Hals", sagt Marcus Arige. Der Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes in der Wirtschaftskammer Wien drängt in Sachen Energiehilfen zur Eile. Denn jene, die ihren Antrag für den Energiekostenzuschuss der Bundesregierung eingereicht hätten, würden wohl kaum vor März tatsächlich Geld sehen.

Zur Erinnerung: Bis 28. November konnten energieintensive Unternehmen Anträge stellen, um je nach Förderstufe gestaffelt zwischen 2.000 Euro und 50 Millionen Euro an Energiehilfen zu erhalten. 1,3 Milliarden Euro sind dafür zunächst budgetiert.

Anders als in Deutschland, wo den Betrieben 70 Prozent der Mehrkosten abgegolten würden, könnten die Betriebe in Österreich aber nur mit 30 Prozent rechnen. Viel zu wenig und viel zu spät, ist Arige überzeugt und sieht sich damit mit der Industriellenvereinigung (IV) auf einer Linie. Der deutsche Energiepreisdeckel gefährde nicht zuletzt Österreichs Wettbewerbsfähigkeit, warnt wiederum die Wirtschaftskammer.

"Doppelnichts statt Doppelwumms"

IV-Präsident Georg Knill hatte jüngst im ORF-Radio erklärt, dass 50 Prozent von tausenden Firmen die Energiepreise schmerzen. Auch Knill forderte da einmal mehr weitere nationale Energiehilfen und warnte vor einer drohenden Deindustrialisierung und einem Wohlstandsverlust. Jeder zweite Betrieb habe noch Lieferverträge, die im kommenden Jahr auslaufen. Viele würden bereits die Produktion drosseln und zum Teil verlagern. Daher müsse "rasch entgegengewirkt" werden.

In die nämliche Kerbe schlägt Arige. Immerhin seien die Energiekosten bereits seit März kräftig gestiegen. "Das Geld kommt mit einem Jahr Verspätung", sagt der Kammerfunktionär. Offen sei zudem eine in Aussicht gestellte Hilfe für jene, die mit ihren Mehrkosten unter 2.000 Euro bleiben, sagt Arige und nennt etwa eine Boutiquenbetreiberin in Wien, deren Stromkosten von 250 auf tausend Euro gestiegen seien.

Mehrkosten von 750 Euro seien für einen Kleinbetrieb wie diesen geradezu existenzbedrohend. Immerhin zählten mit rund 75.000 Betrieben in Wien 60 Prozent zu den ganz kleinen, die sich oft im besten Fall mit einem Umsatz von 30.000 Euro jährlich bescheiden müssen. Ein Viertel der Wiener Unternehmer und Unternehmerinnen in der Bundeshauptstadt ist nicht wesentlich größer: Sie beschäftigen bis zu fünf Mitarbeiter.

"Wir brauchen eine Lösung", sagt Arige und meint damit vor allem eine Gaspreisbremse, wie sie Deutschland eingeführt hat. "Ohne Gaspreisbremse ist alles nichts." Österreich habe wohl gehofft, dass die Nachbarn mit ihrem Energiehilfspaket an EU-Hürden scheitern würden. Nachdem dies nicht geschehen sei, stehe Österreich jetzt vergleichsweise schlecht da. "Deutschland hat einen Doppelwumms, wir haben ein Doppelnichts."

Wettbewerb beeinträchtigt?

Der deutsche Doppelwumms treibt mittlerweile auch Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) um. Es brauche weitere Maßnahmen, damit Österreich wettbewerbsfähig bleibe, heißt es in einer Aussendung von vergangener Woche. Man werde den bestehenden Energiekostenzuschuss verlängern und das deutsche Modell "hinsichtlich einer Umsetzung in Österreich analysieren".

Aber führen die Subventionen beim Handelspartner Deutschland tatsächlich dazu, dass Österreich einen Wettbewerbsnachteil hat? Aus Sicht von Ökonomen, die DER STANDARD befragt hat, bestehen die Sorgen zu Recht. Grund dafür ist weniger der Handel zwischen Österreich und Deutschland. Denn wenn die deutsche Wirtschaft die Krise besser übersteht, profitieren indirekt auch manche österreichische Zulieferbetriebe.

Problematisch ist vielmehr, dass viele österreichische Exporteure am Weltmarkt mit deutschen Produzenten konkurrieren, sagt Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria. "Deutsche Unternehmen sind durch die Beihilfen international in einer deutlich besseren Situation."

Der Preisdeckel wird in Deutschland zudem zu einer erhöhten Gasnachfrage führen. Wenn insgesamt weniger Gas verfügbar ist, könnte das in Österreich wiederum für höhere Preise sorgen. Dazu kommt, dass es Firmen gibt, die mehrere Standorte haben und ihre Produktion möglicherweise stärker nach Deutschland verlagern, erklärt Klaus Neusser, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS).

Wettlauf bei Beihilfen

Laut Köppl-Turyna muss Österreich bei den Beihilfen nachziehen. Die Ökonomin ist allerdings dagegen, das deutsche Modell eines generellen Strom- und Gaspreisdeckels zu übernehmen. Sinnvoller sei es, das Volumen des bestehenden Energiekostenzuschuss, der sich nur an energieintensive Unternehmen richtet, auszuweiten. "Der Nachteil ist, dass manche Betriebe leer ausgehen, weil die Kriterien sehr streng sind und die Standortfrage damit nicht gelöst wird. Der Vorteil ist, dass das Modell steuerlich deutlich effizienter ist", sagt Köppl-Turyna.

Neusser sieht das ähnlich: "Wir müssen nachlegen, sollten aber sehr selektiv und nicht mit der Gießkanne arbeiten." Auch der IHS-Ökonom fände eine Fortschreibung des bestehenden Kostenzuschusses am sinnvollsten.

Einen "Wettlauf um Beihilfen", wie er derzeit stattfindet, sollte die EU-Kommission eigentlich verhindern. Um Verzerrungen des Wettbewerbs im gemeinsamen Markt zu vermeiden, müssen staatliche Subventionen bewilligt werden. "Für die EU-Kommission ist das eine schwierige Gratwanderung", glaubt Neusser. "Ich denke, dass sie die deutschen Beihilfen nicht einfach durchwinken kann."

Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre ein gemeinsames europäisches Modell, das derzeit jedoch nicht in Sicht ist. "Wir müssen nachziehen, aber viel besser wäre es für alle, wenn wir eine koordinierte europäische Lösung hätten", sagt Köppl-Turyna. (Regina Bruckner, Jakob Pflügl, 7.12.2022)