Gesundheitsmitarbeiter sind in Peking in einem Bezirk unterwegs, in dem ein Lockdown gilt.

Foto: AFP/NOEL CELIS

Der Zero-Covid-Albtraum in China neigt sich dem Ende zu. Zumindest deutet nun alles darauf hin, dass die größten Einschränkungen bald wegfallen. Zehn Richtlinien hat die Regierung dafür am Mittwoch erlassen. So sollen unter anderen die Areale, die als vom Virus befallen gelten, deutlich schrumpfen. Wurden anfangs wegen einer Infektion ganze Viertel lahmgelegt, soll sich der Lockdown nun auf einzelne Wohnblöcke beschränken. Die Lockdowns sollen auf maximal fünf Tage beschränkt werden.

Video: Einheimische äußern sich zu den neuen Richtlinien der Nationalen Gesundheitskommission
DER STANDARD

Zur Überraschung vieler sollen die verhassten QR-Gesundheitscodes abgeschafft werden. Wer einen roten oder gelben QR-Code hatte, konnte in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. Zudem sollen die Massen-PCR-Tests entfallen und Infizierte in Zukunft auch zu Hause in Quarantäne bleiben dürfen.

Weitere Impfstoffe freigegeben

Gleichzeitig sollen Personen über 80 zu Impfungen animiert werden. Dafür wurden gleich vier chinesische Impfstoffe im Eilverfahren freigegeben. Zudem hatte der Propaganda-Apparat in den vergangenen Tagen vorsichtig Nachrichten gestreut, die auf eine Öffnung hindeuteten.

Hintergrund für diese überraschenden Lockerungen dürften die Proteste vor knapp zehn Tagen sein. Zunächst waren in einem Wohnhaus in der Stadt Ürümqi in Xinjiang über zehn Menschen bei einem Brand ums Leben gekommen. Ein Löschfahrzeug kam zu spät, weil Lockdown-Sperren die Durchfahrt behindert hatten. Daraufhin war es am Wochenende zu Protesten gegen die Zero-Covid-Politik der Regierung gekommen.

An der belebten Wulumqi Lu in Schanghai (Wulumuqi ist der chinesische Name für Ürümqi) hielten Menschen Mahnwachen ab und legten Blumen nieder. Auch in Peking, Nanjing, Chengdu und zahlreichen anderen chinesischen Städten gingen die Menschen auf die Straßen, sodass die Proteste zu den größten Demonstrationen seit 1989 anwuchsen.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Auch die wirtschaftlichen Einbußen durch die Lockdown-Politik sind in den vergangenen Monaten immer deutlicher geworden. In Zhengzhou in der Provinz Henan war es zu Unruhen unter den Arbeitern eines Foxconn-Werkes gekommen. Der taiwanische Apple-Zulieferer beschäftigt dort rund 300.000 Menschen. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wächst dieses Jahr so wenig wie zuletzt vor 40 Jahren. Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren ein industrieller Covid-Komplex entstanden, an dem zahlreiche Unternehmer – mit Parteinähe, wie man munkelt – gut mit PCR-Tests und Quarantänelagern verdienten.

China hielt nun seit knapp drei Jahren an einer strikten Zero-Covid-Politik fest. Die Grenzen sind seit März 2020 weitgehend geschlossen. Wer mit Sondergenehmigungen einreisen kann, musste bisher eine zweiwöchige Quarantäne absolvieren. Immer wieder wurden ganze Städte – und später Stadtteile – lahmgelegt, wenn Menschen dort positiv auf das Virus getestet worden waren. Diese Politik hatte sich in den vergangenen Monaten immer mehr ins Absurde gesteigert, da sich durch die ansteckendere Omikron-Variante immer mehr Menschen infizierten. Diese mussten sich dann in den gigantischen Quarantänelagern, die überall im Land entstanden, einfinden.

Beobachter hatten immer wieder darüber gerätselt, weshalb Xi Jinping so lange an dieser Politik festhielt: Ein geheimer Wirtschaftskrieg gegen den Westen, die Bekämpfung der Inflation im Inland oder schlicht ideologische Sturheit gingen als Erklärungen ins Rennen.

Viele Fragen noch offen

Offene Fragen bleiben: Warum gerade jetzt? Ende Jänner findet das chinesische Neujahrsfest statt. Es ist dies die größte Migrationsbewegung des Planeten. Hunderte Millionen von Menschen fahren aus den Städten zu ihren Familien aufs Land. Wäre es aus gesundheitlicher Sicht nicht sinnvoller, mit der Öffnung das Neujahrsfest und den Frühling abzuwarten? Was passiert nun mit dem Krankenhaussystem, wenn Millionen Menschen an Corona erkranken oder andere Krankheiten erleiden, weil ihr Immunsystem in den vergangenen Jahren kaum trainiert worden ist?

Unklar ist auch nach wie vor, wieso Peking ausländischen mRNA-Impfstoffen misstraut und die Impfungen nur sehr alten Menschen anträgt. (Philipp Mattheis, 7.12.2022)