Ein Hubschrauber mit einer verhafteten Person an Bord landet in Karlsruhe.

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Die Fahnderinnen und Fahnder kamen am frühen Morgen, und sie schlugen gleich in elf Bundesländern, zudem in Kitzbühel und im italienischen Perugia zu. Wenig später waren 24 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie eine Russin verhaftet. 22 der 25 Verhafteten wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, drei davon die Unterstützung derselben.

Video: Polizei und Bundesanwaltschaft haben bei Razzien, wie hier in Bad Lobenstein in Thüringen, ein mutmaßliches Terrornetzwerk aus Reichsbürgern gesprengt.
DER STANDARD

Der Plan der Verschwörer war laut Bundesanwaltschaft kein geringerer als ein Putsch in Deutschland. Die Beschuldigten, so heißt es, hätten es sich zum Ziel gesetzt, "die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen". Man sei sich bewusst gewesen, "dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden kann". Hierzu würde auch die "Begehung von Tötungsdelikten" zählen.

Die Mitglieder der Gruppierung folgten "einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen bestehend aus Narrativen der sogenannten Reichsbürger- sowie der QAnon-Ideologie".

Denn, so die Bundesanwaltschaft: "Die Beschuldigten verbindet eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland."

Berufung auf das deutsche Kaiserreich

Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik Deutschland und damit auch ihre politischen Repräsentanten sowie Gerichte oder die Polizei ab und berufen sich auf das 1871 gegründete "Deutsche Reich". Sie sind der Meinung, dass das deutsche Kaiserreich fortbesteht und dessen Verfassung weiterhin gilt. Also fordern sie auch, den Ururenkel des 1918 abgedankten Kaisers Wilhelm II. als Kaiser einzusetzen.

Sie rufen oft ihre Grundstücke zu eigenem Staatsgebiet aus und basteln sich selbst Pässe oder andere Fantasiedokumente. Viele von ihnen beziehen sich auf das Deutsche Reich und schwenken bei Demonstrationen auch die schwarz-weiß-rote Flagge. Das Bundeskriminalamt geht von rund 21.000 Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern in Deutschland aus, 1.150 davon werden als rechtsextrem eingestuft.

Ein Jahr laufende Vorbereitungen

"Befreiung" erhoffen sie sich laut Bundesanwaltschaft vom Einschreiten einer "Allianz, eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika". Mitglieder sollen sich bereits in Deutschland aufhalten. Die Bekämpfung der verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates sowie die Absicherung der Macht sollten durch die Vereinigung und ein deutschlandweites Netz von von ihr gegründeter Heimatschutzkompanien übernommen werden. Dazu gab es auch Kontakte mit Vertretern der Russischen Föderation in Deutschland. Mit dieser sollte dann, "dem klassischen Reichsbürgernarrativ" entsprechend, die neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandelt werden. Immerhin erklärt die Bundesanwaltschaft: "Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprechpartner auf das Ansinnen positiv reagiert haben."

Ein Polizist während der Razzia.
Foto: APA / dpa / Boris Roessler

Nach den bisherigen Ermittlungen sind die Beschuldigten seit rund einem Jahr mit den Vorbereitungen beschäftigt. Sie haben verwaltungsähnliche Strukturen geschaffen, Schießtrainings absolviert und neue Mitglieder rekrutiert. Zentrales Gremium soll ein sogenannter Rat sein, dem " Heinrich XIII P. R." vorsteht, wie die Bundesanwaltschaft abkürzt.

Adeliger und ehemalige AfD-Abgeordnete

Man weiß aber in Deutschland, wer dahintersteckt: Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein adliger Immobilienunternehmer aus Frankfurt, der ein Jagdschloss im ostthüringischen Bad Lobenstein besitzen soll. Auf einem Foto der Deutschen Presseagentur ist zu sehen, wie er am Mittwoch in Handschellen abgeführt wurde. Mittlerweile befindet er sich in Untersuchungshaft.

Unter den Beschuldigten und Festgenommenen ist auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Sie saß bis 2021 im Bundestag und war als "Justizministerin" im neuen "Reich" vorgesehen. Die 58-Jährige ist Richterin am Berliner Landgericht, die Berliner Justizverwaltung möchte sie gerne loswerden, scheiterte aber am Verwaltungsgericht. "Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen", sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Mittwoch.

Laut "Spiegel" besitzt Malsack-Winkemann als Sportschützin mehrere Waffen. Und sie hat natürlich Ortskenntnisse im Bundestag, der laut Bundesanwaltschaft gestürmt werden sollte. Allerdings ist unklar, wann das hätte passieren sollen.

Militärischer Arm unter Führung eines früheren Soldaten

Besonders beunruhigt hat die Bundesanwaltschaft der "militärische Arm" der Vereinigung, dem Rüdiger von P. vorstehen soll – ein Oberstleutnant a. D. im Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw, einer Elitetruppe der Fallschirmspringer, aus der 1996 das Kommando Spezialkräfte (KSK) hervorging. Er war bei der Bundeswehr unter anderem für die Verwahrung von Waffen aus Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) verantwortlich. Die Bundeswehr musste er laut "Süddeutscher Zeitung" nach einer Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und Unterschlagung verlassen.

Der Führungsstab befasste sich unter anderem mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikations- und IT-Struktur, der Durchführung von Schießübungen sowie Plänen für die künftige Unterbringung und Verpflegung der "Heimatschutzkompanien". Rüdiger von P. soll auch Bundeswehrsoldaten und Polizisten rekrutiert haben.

Die deutschen Sicherheitsbehörden waren nach Aussage des Präsidenten des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, früh über die Umsturzplanungen einer Reichsbürgergruppierung im Bilde. Die Behörden hätten die Gruppe seit dem Frühjahr dieses Jahres beobachtet und einen recht klaren Überblick über deren Planungen und Entwicklung gehabt.

"Abgrund terroristischer Bedrohung"

"Die Ermittlungen richten sich unter anderem gegen einen aktiven Soldaten sowie mehrere Reservisten", erklärte ein Sprecher des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst. Der "aktive Soldat" sei Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte (KSK), es handele sich aber nicht um einen Kommandosoldaten.

Am Mittwochmorgen, nur Minuten vor Beginn der Razzia, postete einer der Verdächtigen laut "Zeit online" auf Telegram noch: "Es wird sich alles drehen: Die bisherigen Staatsanwälte und Richter sowie zuständigen Leiter der Gesundheitsämter samt Vorgesetzten werden sich bald auf der Anklagebank in Nürnberg 2.0 wiederfinden ..."

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat mit Blick auf die mutmaßlichen Umsturzpläne einer Gruppe aus der rechtsextremen Reichsbürger-Szene von einem "Abgrund terroristischer Bedrohung" gesprochen, Justizminister Marco Buschmann (FDP) twitterte: "Demokratie ist wehrhaft." (Birgit Baumann aus Berlin, 7.12.2022)