Die Marokkaner haben bei der WM in Katar bisher alles richtig gemacht.

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Und ihrer Freude freien Lauf gelassen.

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Trainer Walid Regragui wurde von seinen Spielern gebührend gefeiert.

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Doha – Der eine hat die Elfmeter gehalten, der andere das Team geeint: Goalie Yassine Bounou und Teamchef Walid Regragui sind nach dem sensationellen Aufstieg von Marokko ins Viertelfinale der WM in Katar im Rampenlicht gestanden. Der 47-jährige gebürtige Franzose war erst Ende August installiert worden und schraubte scheinbar an den richtigen Stellen. "Wir vertrauen ihm. Er hat aus uns eine Familie gemacht", nannte Paris-Legionär Achraf Hakimi eines der Erfolgsrezepte.

Überall auf der Welt leben Marokkaner. Und was jahrelang ein Konfliktfeld für die Nationalmannschaft war, hat Regragui bei diesem Turnier zu einem Erfolgsfaktor gemacht. Er formte aus vielen verschiedenen Einflüssen und Erfahrungen ein nur schwer zu schlagendes Team: Aus Spielern, die in Marokko geboren wurden – und solchen, die aus Madrid oder Leiterdorp in Südholland stammen. Aus Stars, die für große Clubs wie Bayern München oder Paris Saint-Germain spielen – und aus ihren Adjutanten von Wydad Casablanca.

"Vor diesem Turnier hatten wir immer große Probleme zwischen den Spielern, die in Marokko geboren wurden und den Spielern, die im Ausland aufgewachsen sind. Auch ihr Journalisten habt doch immer gefragt: Warum lasst ihr die spielen oder die?", sagte Regragui "Jetzt haben wir gezeigt: Jeder Marokkaner ist ein Marokkaner. Wir gehören alle zusammen. Ich habe eine außergewöhnliche Gruppe von Spielern. Wir haben aus einem Team eine Familie gemacht."

Favoritenschreck

Das ließ in der Gruppenphase bereits den WM-Zweiten Kroatien und den WM-Dritten Belgien hinter sich und blieb nun auch noch gegen Spanien mehr als 120 Minuten ohne Gegentreffer. "Ich bin der glücklichste Mensch der Welt", gab Regragui nach dem mit 3:0 gewonnen Elfmeterkrimi gegen Spanien zu Protokoll.

Ein Versuch der Iberer ging an die Stange, bei zwei weiteren von Carlos Soler und Sergio Busquets reagierte Bounou glänzend. Der 31-Jährige war darauf weinend auf dem Rasen gelegen und wurde dann von seinen Kollegen im Kollektiv in die Luft geworfen. Dass er auf Clubebene für den FC Sevilla tätig ist, machte den Erfolg für ihn noch besonderer. Der Tormann mit Künstlername Bono wurde in Kanada geboren und wuchs in Marokko auf. Vor zehn Jahren holte ihn Atletico Madrid für die zweite Mannschaft. Über Real Saragossa und Girona wechselte der 1,90-Meter-Mann 2019 nach Sevilla, wo er Stammgoalie ist.

"Wir sind sehr glücklich. Wir müssen jetzt weiter fokussiert bleiben. Aber um das zu realisieren, was wir hier gerade erreicht haben, werden wir noch viel, viel Zeit brauchen", betonte Bounou. Ein emotionaler Abend war es auch für Hakimi, der den letzten Elfmeter in Panenka-Manier verwandelte. Der 24-Jährige wurde in Madrid geboren und spielte von seinem 8. bis zum 20. Lebensjahr für Real. Für Spanien aufzulaufen und Marokko den Rücken zu kehren, war für ihn nie ein Thema. "Ich wollte immer nur für Marokko spielen", betonte der PSG-Außenverteidiger einmal mehr.

Marokko gibt nun am Samstag gegen Portugal die Premiere in einem WM-Viertelfinale, zuvor hatten aus Afrika überhaupt erst Kamerun (1990), Senegal (2002) und Ghana (2010) diese Turnierphase erreicht. Regragui ist der erste afrikanische Trainer, der in der Runde der letzten acht vertreten ist. Und der Erfolg gelang, obwohl der französisch-marokkanische Doppelstaatsbürger erst zweieinhalb Monate vor dem ersten WM-Spiel die Nachfolge des gefeuerten Vahid Halilhodzic angetreten hatte.

"Er macht einen fantastischen Job, obwohl er dafür nicht viel Zeit hatte", sagte Hakimi über seinen Coach. Der wurde in einem Pariser Vorort geboren. "Niemand kann mir aber mein marokkanisches Herz nehmen", betonte Regragui. Beim Aufwärmspielchen kickt er gerne immer wieder einmal mit oder hält die Kamera, wenn seine Spieler eine Videobotschaft aufnehmen. Er ist mittendrin und kommt damit gut an. Auch dass er die Familien der Spieler zum WM-Camp nach Katar eingeladen hat, hat sich als kluger Schachzug erwiesen.

Große Begeisterung

Neben der individuellen Klasse einzelner Akteure wie Hakimi oder dem zurückgeholten Chelsea-Ass Hakim Ziyech ragt die taktische Disziplin hervor. Hinzu kommt die massive Fan-Unterstützung – bis zu 30.000 pro Spiel in Katar. Der Erfolg sorgte in der Heimat für große Begeisterung. Tausende strömten nach dem Spiel auf die Straßen des nordafrikanischen Landes, um zu feiern. Überall fuhren Autos hupend durch die Straßen. Auch Marokkos König Mohammed VI. streifte sich ein Trikot über und ließ sich durch die feiernden Menschenmaßen in Rabat fahren.

Die Nachrichtenseite Ana al-Khabar sprach von einer "beispiellosen Leistung auf Kosten der Spanier". Dadurch haben alle in Marokkos Lager Lunte gerochen. "Ins Halbfinale zu kommen ist nun unsere Ambition. Wir wollen das Maximum erreichen", meinte Mittelfeldspieler Abdelhamid Sabiri. (APA, 7.12.2022)