Viele Wissenschafter fordern die Abschaffung des Paragrafen 109. Er steht für die Kettenvertragsregelung.
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Seit zehn Jahren arbeitet Klara, die eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte, als Historikerin an mehreren Unis in Österreich und im Ausland. Die hauptberufliche Forschung wird sie nun aufgeben.

Sie will endlich finanzielle Sicherheit, mit 35 Jahren privat endlich länger im Voraus planen können. In den Jahren hangelte sie sich von Befristung zu Befristung. Mal waren es drei Jahre, mal nur sechs Monate. Zwar hat sie gerade vier Jahre bekommen, dafür in Teilzeit und natürlich weniger Geld. Nach jedem Vertragsende muss sie neu um eine Stelle bangen, eine einfache Verlängerung lasse sich mit der Uni nicht verhandeln.

So wie Klara geht es tausenden anderen Forscherinnen und Forschern in Österreich, die im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen die Abschaffung der Kettenvertragsregelung fordern. Diese Woche gingen sie dafür in der Wiener Innenstadt auf die Straße. Die Universitäten beziffern eine Lücke im Budget der Hochschulen mit 1,2 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren. Bis jetzt wurden 400 Millionen Euro zusätzlich vom Bildungsministerium für 2023 zugesagt, den Rest müssen sie sparen. So befürchten wissenschaftliche Angestellte weder einen Inflationsausgleich zu erhalten noch ein Ende der Kettenverträge zu erleben.

Eine Studie zur Situation von (Nachwuchs-)Wissenschaftern im Auftrag der Arbeiterkammer untermalt die Forderungen: Forschende mit befristeter Stelle gaben zu einem deutlich höheren Anteil an, unzufrieden zu sein (38 Prozent), als jene mit unbefristeten Verträgen (13 Prozent). Der Anteil an befristet Beschäftigten ist an öffentlichen Universitäten mit 63 Prozent mehr als doppelt so hoch wie an pädagogischen Hochschulen (24 Prozent) oder Privatuniversitäten (30 Prozent). Besonders stark ausgeprägt sind Befristungen im Nachwuchs. Da liegt der Anteil an Befristungen bei 70 Prozent.

Ohne Entfristung gibt es Arbeitsverbot

Vor einem Jahr wurde die Regelung reformiert: Insgesamt maximal acht Jahre dürfen Forschende mit Befristungen an einer Uni arbeiten – doch statt dann eine Fixanstellung zu bekommen, müssen die meisten danach die Hochschule verlassen. Denn werden sie nicht entfristet, dürfen sie auf Lebenszeit nicht mehr an derselben Hochschule arbeiten. Einige ihrer Kolleginnen und Kollegen mussten deshalb erst kürzlich ins Ausland ziehen. Ein Kollege habe nun eine Stelle in Irland gefunden und pendle zwischen Heimat und Arbeitsstelle, um seine Familie zu sehen. "Als Wissenschafterin ist man Nomade", sagt Klara. Auch sie hatte Stellen im Ausland, musste pendeln, um ihren Partner in Wien zu sehen. Zwar wollte bereits als Kind Historikerin werden, nun sei ihr jedoch wichtiger, ihre Existenz mit einem fixen Job zu sichern.

Klara hätte nach dem Ende ihres aktuellen Vertrages noch ein paar Jahre übrig, in denen sie sich für eine neue befristete Stelle an ihrer Uni bewerben kann. Doch sie sieht sich nach einem Job in der Privatwirtschaft um. Denn auch ihre Arbeitsbedingungen erschweren es ihr, die erforderliche Qualität zu halten. "Man hat ständig Druck, viel publizieren zu müssen, denn die Budgets für die Projekte sind sehr knapp bemessen", sagt sie. Eigentlich arbeite sie "24/7". Zu unsicher sei dafür die Möglichkeit auf eine unbefristete Stelle – nur mit Lehrstuhl gäbe es die Chance. Da sie auch keine Habilitation habe, würden ihre Chancen schlecht stehen. "Es wird einen starken Exodus von Wissenschaftern in Österreich geben und wichtiges Know-how wird verlorengehen", meint Klara, vor allem bei Zukunftsfeldern, die Innovationen etwa für den Klimawandel bringen.

Innovation durch Fluktuation?

In einem Gastkommentar für den STANDARD verteidigte Vizerektor der Wirtschaftsuni Wien, Michael Lang, die Kettenregelung mit Chancen für junges Personal. Häufig seien alle Stellen an pragmatisierte Mitarbeiter der gleichen Alterskohorte gegangen. Somit hätte Nachwuchs jahrzehntelang keinen Platz im Wissenschaftsbetrieb gefunden. Die Personalpolitik sollte aber für eine Balance aus Laufbahnstellen und befristeten Stellen sorgen. Thomas König, Experte für Hochschulgovernance am Institut für Höhere Studien (IHS), sieht das Verlassen auf die Personalpolitik kritisch. Darauf zu setzen, dass die Unis ihre Fachkräfte unbedingt halten wollen und diese daher entfristen, sei ein "gewagter Poker der Regierung", so König. Immerhin sei die "akademische Reservearmee" groß genug, und die auf Flexibilität getrimmten Rektorate würden eher zur Anstellung neuer befristeter Mitarbeiter neigen.

Nachvollziehbar ist das für die Forscherin Klara nicht: "Private hochkarätige Unternehmen würden niemals ihr Personal jahrelang ausbilden, um sie dann wegzuschicken." Denn die wichtigen Erfindungen und Innovationen würden sie dann eben anderswo ausarbeiten. (Melanie Raidl, 07.12.2022)