Jedem Moment wohnt ein Zauber inne: Gonçalo Ramos hatte mehrere zauberhafte Momente.

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Gonçalo Ramos war austauschbar. Zumindest sein Name. Da hätte auch Sergio Ramusch oder Christoph Monschein stehen können. Zumindest in der Zeit zwischen der Bekanntgabe der portugiesischen Startaufstellung für das Achtelfinale gegen die Schweiz und dem Anpfiff der Partie. Viel wichtiger war, wer auf der Bank Platz nehmen musste.

Noch bevor die Hymnen angestimmt und der erste Pass gespielt war, tummelte sich ein Pulk an Fotografen und Fotografinnen um Portugals Bank. Cristiano Ronaldo hatte ein gelbes T-Shirt übergezogen, Ersatzspieler müssen von der Startelf klar unterscheidbar sein. Blitzlichtgewitter. Jede Bewegung, jedes Zucken in der Mimik des Superstars sollte festgehalten werden. Neigt sich Ronaldos Zeit in der portugiesischen Nationalmannschaft dem Ende zu? Es wirkte so.

Der Zauber des Einfachen

Spätestens in der 17. Minute mussten sich die Fotografen und Fotografinnen zum Spielfeld drehen. Da war es nicht mehr wurscht, ob Ronaldos Ersatzmann Sergio Ramusch oder Christoph Monschein heißt. Die Spielsituation war eher gewöhnlich: Raphael Guerrero wirft in der Nähe des Schweizer Strafraums ein, João Felix nimmt den Ball gekonnt an, Drehung, zwei schnelle Schritte gen Mitte, dann der Pass zu Gonçalo Ramos. Bis dahin war der 21-jährige Benfica-Angreifer nur der Mann, der Ronaldo aus der Startformation gedrängt hatte. Und plötzlich war er Gonçalo Matias Ramos.

Ballannahme mit rechts, im Rücken ein Schweizer Verteidiger, Drehung zum Tor und eine Rakete mit links ins Kreuzeck. Ein Strich, unhaltbar für den Schweizer Keeper Yann Sommer. Ausgelassener Jubel – mit den Ersatzspielern in ihren gelben Leibchen. Wieder Blitzlichtgewitter. Ramos zeigte mit Fortlauf der Partie, dass die Aktion, die so zauberhaft unkompliziert, so kraftvoll zielstrebig und mit so viel Elan für die portugiesische Führung sorgte, keine Ausnahme war. Portugal gewann 6:1, Ramos erzielte drei Tore. "Ich glaube, ich habe nicht einmal in meinen kühnsten Träumen daran gedacht, in der K.-o.-Phase in der Startelf zu stehen", sagte er anschließend.

Der Zauber des Abstaubens

Die Suchanfragen schnellten schon während der Partie in die Höhe. Wer zum Teufel ist der Mann, der einen der besten Kicker, die es jemals gab, aus der Startelf seines Heimatlandes verdrängte? Ramos kommt aus Olhão an der Algarve im Süden Portugals, lernte das Fußballspielen beim SC Olhanense und CB Loulé, bis es ihn in den Nachwuchs des portugiesischen Giganten Benfica Lissabon zog. Schon Papa Manuel war Fußballer. An seinem 19. Geburtstag debütierte er für die erste Mannschaft von Benfica und erzielte zwei Tore gegen Aves. Seine Mitspieler nennen ihn "O Feiticeiro", den Zauberer: "Ich habe einfach Glück mit den Abstaubern. Irgendwie kommt der Ball immer zu mir", erklärte er einmal.

Besonders in der aktuellen Saison stellte der Zauberer seine Magie unter Beweis: Mit neun Treffern führt er die Torschützenliste in Portugal an. Teamchef Fernando Santos war also quasi in der Pflicht, den 185 Zentimeter großen Angreifer mitzunehmen. Und dennoch war seine Nominierung bei der Fülle an Portugals Offensivpower ein wenig überraschend. Noch überraschender war sein Platz in der Startelf gegen die Schweiz. Und mit den drei Toren zauberte er vor allem eines weg: seine Austauschbarkeit. (Andreas Hagenauer, 7.12.2022)