Im Gastblog setzt sich die Journalistin und Politikwissenschafterin Antje Schrupp mit den Positionen von Alice Schwarzer im jeweiligen Kontext auseinander.

Nachdem es jetzt rum ist, auch noch meine drei Cent zu Alice Schwarzer. Die Erzählung ging ja hauptsächlich darum, ob man ihr dankbar sein soll oder nicht. Die einen sagen aus bekannten Gründen Ja, die anderen aus ebenso bekannten Gründen Nein. Oder, als Kompromiss: Was sie früher gemacht hat, war gut, dann wurde es schlecht. Oder, wenn man eine Kontinuität sucht: Sie war eine persönlich schwierige Frau, man konnte schwer mit ihr zusammenarbeiten.

Ich würde es ja besser gefunden haben, wenn man sich inhaltlich mit ihren Positionen auseinandergesetzt hätte. Denn die Frage ist doch nicht, ob man ihr dankbar ist oder nicht, sondern ob – wo und wo nicht – man mit ihr übereinstimmt.

Der 80. Geburtstag sollte als Anlass gesehen werden, sich inhaltlich mit Alice Schwarzer auseinanderzusetzen – und nicht, um Fragen der Dankbarkeit zu erörtern.
Foto: IMAGO/Klaus W. Schmidt

Für mich kann ich sagen, dass ich als junge Frau am Anfang meiner feministischen Politisierung (mit Anfang 20, also Mitte der 1980er) von Alice Schwarzer gelernt habe, die krasse patriarchale Struktur unserer Kultur zu sehen. Das Ausmaß zu erkennen, in dem die Welt männlich dominiert ist, von männlicher Macht, männlichem Geld und vor allem männlicher symbolischer Ordnung. Und diese radikale Analyse war neu, es war nicht die von Schwarzer allein, sondern der Frauenbewegung, aber Schwarzer trug sie in den Mainstream und damit auch zu mir.

Schwarzers politische Reaktion auf diesen Befund war: Frauen müssen gleichberechtigten Anteil an dieser Macht, diesem Geld, dieser Ordnung haben. Als Zwanzigjährige erschien mit das total plausibel. Ich erinnere mich besonders an die Debatten über "Frauen in die Bundeswehr", wo viele ältere, "grünere", "linkere" Feministinnen schon damals sagten, na ja, das ist vielleicht nicht so ganz die klügste Lösung, sollten wir das Problem nicht etwas breiter und grundsätzlicher angehen – und da stimmte ich ihnen auch durchaus zu.

Frauen in der Bundeswehr

Aber meiner (und Schwarzers) Punkt war: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Frauen müssen in die Bundeswehr, denn nur das ist gerecht, Punkt, basta. Ob wir dann außerdem vielleicht auch noch den Militarismus hinterfragen, irgendeine Friedenspolitik machen und so weiter, das können wir dann ja diskutieren. Aber Frauen deswegen nicht in die Bundeswehr zu lassen ist nicht richtig.

Ich finde, diese Position verdient durchaus Aufmerksamkeit. Ich kann (natürlich, weil ich selber das damals vertrat) verstehen, dass man sie vertritt, aber heute finde ich sie falsch. Denn später kam ich (dank der Begegnung mit dem italienischen Differenzfeminismus) zu der Auffassung, dass eine Beteiligung von Frauen an der männlich geprägten symbolischen Ordnung nicht gleichgültig ist (nach dem Motto: Wie wir zur Bundeswehr stehen, ist unabhängig davon, ob nur Männer oder Frauen drin sind, also die Position Schwarzers), sondern dass sie diese symbolisch bestärkt (eine Bundeswehr, in der nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind, hat eine größere Legitimität).

Alice Schwarzer hat solche Einwände gegen ihren simplizistischen Gleichheits-Feminismus, die ja schon damals auch von vielen, vielen Feministinnen vorgebracht wurden, nicht verstanden – oder nicht verstehen wollen, was aber auf dasselbe rauskommt. Sie hat diese Position als "Differenzialismus" diffamiert, nach dem Motto: Das sind alles weiblich-essenzialistische Friedenstussis, die ihre Forderung nach Frauen in der Bundeswehr nicht unterstützen.

Eine moralische Untugend

Von hier aus erklären sich meiner Ansicht nach auch die späteren Fehleinschätzungen Schwarzers. Sie hat nicht verstanden, dass die Gleichberechtigung im Westen die weißen bürgerlichen, einheimischen cis-Frauen zu einem stärkenden Faktor der weißen bürgerlichen antimigrantischen symbolischen Ordnung macht und damit die Grenzen, die das Patriarchat zwischen Männern und Frauen zieht, einfach nur anderswohin verlagert. Sie hat nicht verstanden, dass die eurozentrischste patriarchale koloniale Norm durch die Emanzipation der Frauen nicht etwa untergraben wird, sondern glaubwürdiger! Und dass aus genau diesem Grund sie niemals von einer Kritik anderer Diskriminierungsformen getrennt werden darf.

Es ist, lange Rede, kurzer Sinn, meiner Ansicht nach nicht eine moralische Untugend, die Schwarzer diese intersektionalen Anliegen "vergessen" lässt, sondern der Fehler liegt in der Struktur ihrer politischen Analysen. Schon von ganz Anfang an. Nur dass dieser Fehler in einer Zeit, in der die faktischen (rechtlichen, sozialen, kulturellen) Diskriminierungen gegen Frauen aufgrund des Geschlechts noch so krass waren wie damals, nicht so unmittelbar deutlich ins Auge gefallen ist wie heute, wo die meisten dieser Diskriminierungen abgeschafft wurden.

Wenn vielleicht auch nicht alle. Denn, muss man doch aus einer simplizistisch gleichstellungspolitischen Perspektive mal fragen: Wann wurden Kommentare zu einem männlichen Intellektuellen anlässlich seines 80. Geburtstags mit der Frage eingeholt, ob man ihm "dankbar" sei? Anstatt mit der Frage, wie man zu seinen inhaltlichen Positionen und Forderungen steht? (Antje Schrupp, 9.12.2022)