Unternehmerisches Denken komme an den Unis derzeit zu kurz, findet Start-up-Gründer und Universitätsratsvorsitzender der Alpen-Adria-Universität Werner Wutscher.

Foto: Luiza Puiu

Die Zahl der Studierenden in Österreich erreichte heuer das zweite Jahr in Folge einen neuen Höchststand. Rund 390.000 Menschen haben sich laut Statistik Austria im Wintersemester 2021/22 für ein Studium eingeschrieben. Wenn es um Gründungen im akademischen Umfeld geht, tut sich jedoch seit Jahren wenig. Nur elf Spin-offs und 22 akademische Start-ups entstanden im Vorjahr an österreichischen Hochschulen (siehe unten). Nicht nur Hürden bei der Gründungen seien ein Problem, sondern auch die fehlende Einbindung unternehmerischen Denkens in verschiedenen Studienrichtungen, meint Start-up-Gründer und Universitätsratsvorsitzender Werner Wutscher.

STANDARD: Warum braucht es überhaupt mehr akademische Gründungen?

Wutscher: Selten konnte der Nutzen wissenschaftlicher Expertise so rasch bewiesen werden wie in der Pandemie: Die Impfstoffe wurden nicht von den großen Pharmakonzernen, sondern von Spin-offs von Universitäten wie Biontech entwickelt. Start-ups sind meist wendiger und schneller in der Umsetzung als Großkonzerne mit all ihren Regeln und bürokratischem Beiwerk. Das wurde auch seitens der Politik erkannt: Ein Ziel in der FTI-Strategie der Bundesregierung (Anm.: Strategie für Forschung, Technologie und Innovation) sind zehn Gründungen pro 10.000 Studierende. Davon sind wir sehr weit entfernt.

STANDARD: Wieso tut sich in Österreich nicht mehr in diesem Bereich?

Wutscher: Die größte Herausforderung, die wir derzeit haben, ist, dass relativ viel Geld in die Forschung fließt und nur wenig dabei herauskommt. Aus der internen universitären Perspektive spielen die Lehre und die Forschung immer noch die wichtigste Rolle. Akademische Gründungen und der Wissenstransfer werden hingegen sehr stiefmütterlich behandelt. Dabei ist diese Denkweise widersprüchlich. Europäische Forschungsprogramme wie Horizon Europe zielen immer stärker auf "Third Mission" und Impact ab. Das heißt, es soll nicht nur der Forschung wegen geforscht werden, sondern die Ergebnisse sollen auch Nutzen für die Gesellschaft stiften. Mit Kapitalismus oder Neoliberalismus – wie manche glauben – hat das nichts zu tun.

STANDARD: Wie läuft eine akademische Gründung momentan ab?

Wutscher: Jeder Fall eines Spin-offs ist derzeit einzigartig. Es gibt keine klaren Regeln, nach welchen Gesichtspunkten eine Universität zum Beispiel Anteile nimmt oder wie sie mit Lizenzgebühren umgeht. Es wird also bei jeder Gründung von neuem begonnen. Und das ist keinesfalls förderlich für eine effiziente Ausgliederung. Es gibt internationale Studien, die zeigen, dass ein Spin-off-Projekt im Ausland in 70 Prozent aller Fälle in weniger als einem halben Jahr verhandelt wird und abgeschlossen ist – in Österreich sind es im Schnitt vier Jahre. Das hat viel mit der Autonomie der Universitäten zu tun. Es gibt zwar einige Initiativen, wie zum Beispiel die Entrepreneurship-Zentren der österreichischen Universitäten, die sich zusammengeschlossen haben, insgesamt tut sich in diesem Bereich aber zu wenig.

STANDARD: Welchen Herausforderungen begegnen Gründerinnen und Gründer abseits davon?

Wutscher: Es gibt extreme Unterschiede im akademischen Mindset und dem unternehmerischen Denken. Sich für das Risiko zu entscheiden – im Gegensatz zu dem gewohnten sicheren Rahmen an der Hochschule – kann eine Hürde sein. Ein zweiter Aspekt ist das Aufbauen eines starken Teams und die Führung eines solchen. Gerade Gründerinnen und Gründer aus dem technischen und naturwissenschaftlichen Bereich haben damit meist wenig Berührungspunkte im Studium. Internationale Beispiele wie das skandinavische Modell zeigen, wie eine Einbindung von unternehmerischem Denken auch in anderen Disziplinen möglich ist.

STANDARD: Und wie steht es um Gründungen in anderen Bereichen, beispielsweise den Geistes- und Sozialwissenschaften?

Wutscher: Die wichtige Rolle, die die Kultur- und Geisteswissenschaften für akademische Gründungen spielen könnten, beweist das Institut The Royal College of Art, das auf Kunst und Design fokussiert ist und unter den zehn führenden Spin-off-Universitäten des Vereinigten Königreichs aufscheint. Bei dem starken Fokus auf Technologie wird oft die soziale Innovation ausgeblendet. Dabei können Social Entrepreneurs gerade in der derzeitigen Diskussion rund um die Digitalisierung und ihre Folgen einen großen Beitrag leisten und außerdem dazu beitragen, die Diversität im Bereich Gründung zu fördern. (Interview: Anika Dang, 9.12.2022)