Jakarta – Gerade hatte sich das Land beim G20-Gipfel in Bali noch international ins Scheinwerferlicht gestellt – da zieht Indonesien mit einem neuen Strafgesetz wieder Kritik auf sich. Man werde die am Dienstag vom Parlament verabschiedeten Regelungen "genau beobachten", teilten die USA mit. Die Menschenrechte müssten nach Ansicht des amerikanischen Außenministeriums gewahrt bleiben, so die Mahnung.
Zugleich wurde auch in der Hauptstadt Jakarta gegen das neue Gesetz demonstriert, das unter anderem Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, weil es Sex vor der Ehe mit bis zu einem Jahr Haft bestrafen will. Aus diesem Grund kommt auch Kritik von der für das Land bedeutenden Tourismusindustrie. Auch wenn es eine Strafverfolgung nur dann geben werde, wenn eine Klage von einem engen Familienmitglied eingereicht worden sei, und auch wenn das Gesetz erst ab 2025 gelten werde – den nächsten Urlaub in Bali werden sich einige unverheiratete Paare wohl noch einmal überlegen.
Weit dehnbare Bestimmungen
Dabei ist bisher in den Hintergrund getreten, dass das Gesetz sich nicht nur mit außerehelichem Sex befasst. Auch das Zusammenleben unverheirateter Paare wird mit bis zu sechs Monaten Haft bedroht. Bis zu drei Jahre kann künftig ins Gefängnis kommen, wer den Präsidenten in den Augen der Justiz herabwürdigt – und auch unangekündigte Proteste sollen untersagt und mit Strafen geahndet werden. Außerdem sind in dem Paket Maßnahmen enthalten, die stark willkürlich ausgelegt werden können.
Darunter fallen strengere Regeln für ein Blasphemieverbot, das zwar den Regeln nach für die fünf anerkannten Religionen (Islam, Christentum, Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus) gilt, in der Praxis aber zumindest bei vermeintlicher Beleidigung des Islam zur Anwendung kommt. Dieses wurde unter anderem dem christlichen Bürgermeisterkandidaten für Jakarta, Basuki Purnama, 2017 zum Verhängnis, der zwei Jahre in Haft musste, nachdem er einen Vers aus dem Koran zitiert hatte. Zudem soll auch "schwarze Magie" mit Strafe belegt werden.
Balanceakt der Regierung
Die Regierung begründet die neuen Gesetze mit dem Abstreifen des kolonialen Erbes. Dass noch immer ein Strafgesetz aus dem Jahr 1918 gelte, das aus der Zeit der niederländischen Herrschaft stamme, sei für das Land nicht mehr passend, argumentiert sie. Hintergrund ist aber auch, dass die Regierung des einst als relativ liberal geltenden Präsidenten Joko Widodo selbst unter Druck steht. Erst kürzlich hatte sie mehrere islamistische Gruppen verbieten lassen, was für Proteste am radikalen Rand gesorgt hatte.
Das neue Strafgesetz gibt der Regierung die Möglichkeit in die Hand, stärker gegen diese Gruppen vorzugehen. Mit den harten neuen Regelungen, die tief in das Privatleben der Indonesierinnen und Indonesier eingreifen, kommt die Regierung den Radikalen zugleich inhaltlich entgegen.
Treue zur Staatsideologie
Das Spannungsfeld hat sich auch nach dem Beschluss der Gesetze noch einmal gezeigt. In der Stadt Bandung sprengte sich ein mutmaßlicher Islamist vor einer Polizeistation in die Luft, tötete dabei einen weiteren Menschen und verletzte zehn. In den Hinterlassenschaften des Angreifers wurden laut der Regierung auch Notizen gefunden, in denen der Mann auf das neue Gesetz Bezug nimmt – er kritisiert es für die neuen Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Islamisten als "Produkt des Unglaubens". Dabei geht es unter anderem um eine Bestimmung, in der auch Angriffe auf die Staatsideologie – die Pancasila – als strafbar gelten. Weil die Pancasila den Islam, das Christentum, den Buddhismus, Hinduismus und den Konfuzianismus allesamt als geschützt betrachtet, kann sie auch Einsätze gegen radikale Islamisten begründen.
Zugleich allerdings haben die Behörden einen der Bombenbauer der Al-Kaida-Anschläge auf der Insel Bali freigelassen, bei denen 2002 mindestens 202 Menschen getötet worden warten. Der Mann, so die Behörden, habe sich gewandelt – und unter anderem Indonesien und dessen Staatsideologie die Treue geschworen. (red, 7.12.2022)