Die Animationen der Charaktere sind technisch beeindruckend. Hier: Protagonist und Pilot Jacob Lee.

Foto: Striking Distance Studios/Krafton

Schummriges Licht, Gefängniskorridore, die von Leichenteilen übersät sind. Aus der Ferne ertönen qualvolle Schreie jener, die noch nicht auf dem Boden verteilt liegen. Mit der Waffe im Anschlag folgt man vorsichtig einem beklemmenden Pfad blutrünstiger Verwüstung, jede Sekunde scheint die tödliche Gefahr auch über einen selbst hereinbrechen zu können. Was wohl hinter der nächsten Ecke lauert?

Nichts für schwache Nerven

Die Welt von "The Callisto Protocol" ist unwirtlich, unnötig blutig wie ein Splatterfilm aus den 1980ern – und in Zeiten wie diesen möglicherweise nicht nur für Moralapostel unangemessen. Wer sie dennoch umarmen möchte, wird vom Spiel anfangs bezirzt, dann aber abgewatscht: Was nämlich spannend und wie ein aufgelegter Elfmeter für Horrorfans klingt, verstümmelt sich nach und nach selbst zu einem undankbaren und frustrierenden Kraftakt.

Der Trailer wird dem Spiel optisch nicht gerecht.
Striking Distance Studios

Dabei waren die Voraussetzungen nicht schlecht und Entwickler Striking Distance Studios versprach im Vorfeld auch nicht mehr als er gehalten hat: "The Callisto Protocol" ist eine grafisch aufgebohrte Mischung aus Zombie-Schlachthaus und -Schießbude auf einem Gefängnisplaneten. Punkt. Nach zehn bis zwölf Stunden ist der Spuk überraschend vorbei und der größte Fehler, den man als Spieler gemacht hat, ist es dennoch, so lange durchgehalten zu haben – und in den Titel konstant Hoffnung gepumpt zu haben, ohne dafür wirklich belohnt zu werden.

Ein Vergleich, der hinkt

Wer nicht so viel Spielerfahrung am Buckel hat, wurde womöglich nur von den packenden Trailern zum Spiel gelockt. Und die sind im Vergleich zum Spiel sogar eine Untertreibung: Wer den Actiontitel auf einem halbwegs potenten PC spielen kann, sollte seine Kinnlade festzurren, denn grafisch werden alle Register gezogen.

Mag sein, dass das grafische Filetsteak zu blutig serviert wird. Vor den ersten Patches stotterte die PC-Version auch noch gelegentlich. Die technische Umsetzung von Darstellung und Detailstufe zählen aber locker zum besten, was man bei Neuerscheinungen heuer zu sehen bekommt, optionales Raytracing-Feuerwerk inklusive. Besonders die Gesichtsanimationen sehen umwerfend aus und lassen daran zweifeln, dass hier nur eine Unreal Engine 4 am Werk sein soll. Tatsächlich hat CTO Mark James bereits zur heurigen Gamescom verraten, dass das Spiel teilweise schon Features der mittlerweile für Entwickler erhältlichen Unreal Engine 5 nutzt.

Bei "The Callisto Protocol" sind nicht nur die Zombies ein Horror.
Foto: Striking Distance Studios/Krafton

Für Kenner des Genres und ältere Kaliber war nicht nur die zweifellos bombastische Grafik ein Anreiz. Auch die Tatsache klang reizvoll, dass das Entwicklerteam mit Glen Schofield & Co. auf prominente Besetzung zurückgreifen konnte, die 2008 mit dem Weltraumhorror "Dead Space" einen Meilenstein im Genre gesetzt hatte. Wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, ist eben nicht alles, was hinkt, ein Vergleich. Und dass "Dead Space" nach 14 Jahren inhaltlich und spielerisch noch immer das bessere Erlebnis bleibt, spricht nicht gerade für "The Callisto Protocol". Ob das Remake von "Dead Space" noch einen draufsetzen kann, wird sich übrigens schon Ende Jänner kommenden Jahres zeigen.

Jetzt wird es dünn

Die Story des Spiels ist rasch erzählt, es gibt nämlich kaum eine. In einem Scifi-Setting eingebettet übernimmt man die Rolle eines Piloten, der beim Transport einer medizinischen Fracht abstürzt. Und zwar auf dem Planeten Callisto, gleich in der Nähe einer Haftanstalt. Eine Verhaftung und ein Blackout später beginnt das Spiel, als im Gefängnis alles von Zombies überrannt und außer Kontrolle geraten scheint. Ohne zwei und zwei zusammenzählen zu müssen, kann man sich den Plot eigentlich auch so schon ausmalen. Jacob Lee, so der Name des einsilbigen Protagonisten, hinterlässt bis auf referenzverdächtige Charakteranimationen keinen bleibenden Eindruck.

Mein Feind, die Kameraführung: Gegen mehrere Gegner gleichzeitig kann es unfair werden.
Foto: Striking Distance Studios/Krafton

Was die Atmosphäre optisch – und vor allem mit Kopfhörern – auch akustisch hergibt, wird oft von kleineren und größeren inhaltlichen Unzulänglichkeiten untergraben. Durchsuche gefühlt hundert Gefängniszellen, von denen in 96 nichts passiert oder nichts zu finden ist. Getötete Zombies hinterlassen Munition, obwohl sie keine Waffe haben, und Gesundheitsinjektoren, obwohl sie sich nie selbst heilen. Richtig enttäuschend ist aber der Umstand, dass man bis zum Schluss mehr oder weniger durch einen riesigen Schlauch mit vorhersehbaren Jumpscares und Gegneraufgeboten gezerrt wird.

Gefangen im Schlauch

Ein furchteinflößendes Gebiet wirklich erkunden muss man in diesem Sinne nicht, wie man es eben anno dazumal bei "Dead Space" tat. Man betritt mit einer neu entdeckten Schlüsselkarte auch nicht endlich ein bislang verschlossenes Areal, an dem man so oft vorbeigegangen ist und sich gefragt hat, was wohl dahintersteckt. Man muss sich den Gefängnisplan nicht "merken", wie man es vielleicht beim Plan der Polizeistation in "Resident Evil 2" tat, damit man Mr. X besser ausweichen konnte.

Es ist egal, weil man ja nur einmalig durchgelotst wird. Hin und wieder tauscht man eine Sicherung aus, um eine Türverriegelung zu deaktivieren oder man kann sich aussuchen, welchem von zwei Wegen man an einer Gabelung zuerst folgt. Eine Handvoll gruselig aussehender Zombies, die in dunklen Korridoren auf den Spieler losgelassen werden, macht alleine leider noch kein packendes Horrorgame aus.

Nicht zu Ende gedacht

Das Kampfsystem bekleckert sich auch nicht gerade mit Ruhm. Es beruht darauf, dass man Gegnern in einem bestimmten Rhythmus ausweichen muss, um dann wahlweise im Nah- oder im Fernkampf auf sie losgehen zu können. Bei einzelnen Gegnern funktioniert das sehr gut, wenn man das Timing herausgefunden hat. Bei mehreren Zombies gleichzeitig, die man später aus einem bestimmten Grund zusätzlich unter Zeitdruck ausschalten muss, artet diese Mechanik teilweise in ein Glücksspiel aus, in der die Ausweichmechanik komplett versagt und auch noch die Kameraführung zum Feind des Spielers wird.

Die Spielmechanik von "The Callisto Protocol" wirkt nicht zu Ende gedacht.
Foto: Striking Distance Studios/Krafton

Hinzu kommen Entscheidungen, die man bereits beim Playtesting hinterfragen hätte können. Warum etwa steckt Jacob Lee seine Waffe nach wenigen Augenblicken der Inaktivität automatisch weg? Wer würde das im Angesicht eines solchen Bedrohungsszenarios machen? Als Konsequenz passiert es mitunter natürlich, dass der Spieler just in der Animation des Wegsteckens seiner Waffe festhängt, wenn er von einem Gegner aus dem Hinterhalt angegriffen wird. Während des Kampfes schnell mal heilen? Fehlanzeige, die lange Animation dazu verunmöglicht das. Und auch ein erfolgreicher Waffenwechsel in der Hitze des Gefechts ist in diesem Spiel nicht immer garantiert.

Gelegentliche Waffen-Upgrades und ein Schwerkraft-Handschuh erleichtern das Leben in "The Callisto Protocol". Sie ermöglichen teilweise ein wenig mehr Interaktion mit der Umgebung. Der auf mittlerer Stufe gespielte Schwierigkeitsgrad kann gegen Ende dennoch ganz schön kernig werden, besonders wenn man gleichzeitig gegen mehrere Untote antreten muss.

Fazit

Hat man sich anfangs noch gefragt, was hinter der nächsten Ecke lauert, fragt man sich im Verlauf des Spiels zunehmend, was man hier überhaupt macht. Der größte Treiber in "The Callisto Protocol" ist zweifelsohne die technisch beeindruckend umgesetzte Grafik. Mit dem hohen Ausmaß an Splatter muss man freilich umgehen können.

Der Rest ist ehrlich gesagt eines Vergleichs mit Genre-Legenden wie "Dead Space" nur sehr selten würdig. Ähnlich atmosphärisch beeindruckende Momente sind vorhanden, ja. Sie werden aber gerade im späteren Verlauf des ohnehin nicht allzu langen Spiels durch eine nicht zu Ende gedachte Spielmechanik ruiniert. Unterm Strich bleibt ein mittelmäßiger Vertreter des Horror-Genres übrig, den erwachsene Spieler als Grafikdemo beim nächsten Abverkauf ins Auge fassen können. (Benjamin Brandtner, 08.12.2022)