"Strukturelles Desinteresse" der Politik dürfte zum Aus der "Wiener Zeitung" als älteste Tageszeitung führen, sagt ihr Chefredakteur Walter Hämmerle.

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Wien – "Akute medienpolitische Versäumnisse" beschäftigten Mittwochabend führende Journalistinnen und Journalisten, und als erstes Versäumnis die geplante Einstellung der republikseigenen "Wiener Zeitung" als Tageszeitung. Die Diskussion organisierten Reporter ohne Grenzen, das Institut für Publizistik der Uni Wien und die Bundesfachgruppe Medienberufe des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker (BSA).

Worum es geht bei der "Wiener Zeitung"

Die "Wiener Zeitung" ist die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. Die sie finanzierenden Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen werden 2023 gestrichen – die langjährige Forderung von Wirtschaftstreibenden wurde aufgrund einer neuen EU-Vorgabe aktuell. Damit fällt der Großteil der jährlichen Einnahmen des republikseigenen Verlags – rund 20 von 23 Millionen Euro weg.

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat einen Entwurf vorgelegt, mit dem die "Wiener Zeitung" zum Onlinemedium mit zumindest zehn Mal jährlichen Printausgaben wird. Dafür bekommt sie laut Entwurf 7,5 Millionen Euro pro Jahr direkt aus dem Staatsbudget – wenn die EU-Kommission dafür den wettbewerbsrechtlichen Segen gibt. Das gilt auch für drei Millionen jährlich für eine amtliche Veröffentlichungsplattform und weitere sechs Millionen für Journalismusausbildung und Startup-Förderung.

"Aus medienethischer Sicht größte Probleme mit der Konstruktion"

Diese quasi staatliche Journalismusausbildung in einem Unternehmen, das direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt ist, sorgte schon für vielfache Kritik. Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats nennt "absurd, dass dafür sechs Millionen Euro in die Hand genommen werden und die anderen etablierten Ausbildungseinrichtungen mit viel, viel weniger Budget auskommen müssen." Nachsatz: "Sechs Millionen Euro für zwölf Auszubildende pro Jahr", die nicht alleine Journalismus, sondern etwa auch PR lernten. "Für mich liegt der Schluss nahe, dass da Personen ausgebildet werden, die in Ministerkabinetten landen und dort Pressesprecher sind."

Warzilek: "Aus medienethischer Sicht habe ich größte Probleme mit dieser Konstruktion. Aus dem Gesetzestext könne er keine Gewähr für Unabhängigkeit ableiten."

"No-Go: Journalismusausbildung dem Bundeskanzleramt unterstellt"

"Die Concordia lehnt den Entwurf für die 'Wiener Zeitung' ab" , erklärte Petra Stuiber, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, in ihrer Funktion als Vizepräsidentin des Presseclubs: "Dass man die Journalismusausbildung dem Bundeskanzleramt unterstellt ist ein No-Go." Vergleiche mit der staatlichen Lehrerausbildung – die etwa die Grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger zog– hinkten gewaltig.

Die Republik habe der "Wiener Zeitung" in der Vergangenheit "keine Luft gelassen, keine Bewegungsmöglichkeiten", monierte Stuiber. Schon das sei "fahrlässiger Umgang mit Vermögen des Staates, mit unser aller Vermögen" gewesen – und umso mehr die nunmehr geplante Einstellung als Tageszeitung.

Soll man sich Medienpolitik wünschen?

"Aus der Perspektive der Journalistengewerkschaft geht es nicht nur um eine Zeitung, nicht nur um die älteste Tageszeitung der Welt, sondern auch um die Vielfalt", erklärte Journalistengewerkschafter Michael Lohmeyer ("Die Presse"): "Die Vielfalt der Medien ist schon lange, lange bedroht. Und es hat nie Anstalten gegeben, von welcher Regierung auch immer, sinnvoll regulierend einzugreifen."

Wobei Lohmeyer nicht sicher ist, ob er sich Medienpolitik wünscht – mit denen häufig Interessen von Parteien oder Einzelpersonen verbunden seien. Es brauche "klare gesetzliche Regelungen, klare Finanzierungsmodelle, die Medien für ihre auch öffentliche Aufgaben ja brauchen, und kare Regelungen was den ganzen Unsinn mit öffentlichen Anzeigen betrifft. Diese Regelungen soll es geben, und darüber hinaus keine große Medienpolitik".

"Strukturelles Desinteresse" der Politik

Für Walter Hämmerle, Chefredakteur der "Wiener Zeitung", profitierte die Zeitung lange vom "Desinteresse des Eigentümers" – '"nichts ist gefährlicher als überbordendes Interesse" der Politik wie sich am ORF zeige. Auf ihn sei die Medienpolitik "fixiert".

Doch das "strukturelle Desinteresse" der Politik führe nun, "wenn nicht ein mittleres Wunder geschieht, zum Aus der unglaublichen Möglichkeitsmarke 'Wiener Zeitung'".

Der Politik fehle ein "Sensorium für die Krisenhaftigkeit der Öffentlichkeit", für die Boulevard-Orientierung. Es fehle ihr nicht alleine das Gespür dafür, sondern auch der Wille, "daran etwas ändern zu wollen".

Wenn Armin Thurnher Kanzler wäre

"Falter"-Herausgeber Armin Thurnher sieht die medienpolitisch Verantwortlichen vom Bundeskanzler abwärts "kopflos, bedenkenlos und verantwortungslos" mit der "Wiener Zeitung" umgehen.

Thurnher: "Wäre ich Minister, Bundeskanzler oder sonstwas, würde ich eine Stiftung gründen und würde die Gelder der 'Wiener Zeitung' als Zuwendung garantieren, die ich ihr jetzt zusage für diese irregeleiteten Zwecke" – Thurnher meint die Subventionen etwa für ein Onlinemedium und Journalismusausbildung. "Dieser Stiftung würde ich eine Unabhängigkeit gewähren, die aber besser definiert ist als jene des ORF."

"Sadomasochistische Beziehung zum Boulevard"

Zu den "akuten Versäumnissen" zählt Moderator Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter und Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, auch die geplante Novelle zum Medientransparenzgesetz. Es beseitige zwar einige Ausnahmen, sehe aber keine Obergrenze für Werbebuchungen öffentlicher Stellen vor – was man einhellig auf dem Podium kritisierte.

Concordia-Vizepräsidentin Stuiber erklärte das recht plakativ so: "Die Politik pflegt eine sadomasochistische Beziehung zu bestimmten, dienstfertigen Boulevardmedien, die sie nicht beenden will und kann. Da nehme ich niemanden aus."

Werner Faymann habe in der Wiener Stadtpolitik die Erfahrung gemacht, "dass man sich mit Inseraten willfährige Berichterstattung erkaufen kann". Stuiber: "Er wurde Bundeskanzler, und alle haben zugeschaut und von ihm gelernt und wollen das bis heute nicht verändern."

Der Ehrenkodex und der Hausverstand

"Versäumnis" drei, unter vielen Kritikpunkten an der geplanten Journalismusförderung: Der Ehrenkodex der österreichischen Presse und die Mitgliedschaft im Presserat sind nicht Bedingung und auch nicht Förderkriterium bei der neuen Journalismusqualitätsförderung. Presserats-Geschäftsführer Warzilek: "Es sagt einem schon der Hausverstand: Wenn man ein neues Gesetz zur Förderung der Qualität im Medienwesen im Journalismus konzipiert, muss der Ehrenkodex der erste Anküpfungspunkt sein."

Journalismusgewerkschafter Lohmeyer vermisst Qualitätskriterien als Bedingung für die Förderung von Medien. Concordia-Vizepräsidentin Stuiber sieht die Anerkennung des Ehrenkodex ebenfalls als sinnvolle Bedingung.

(fid, 8.12.2022)