Es war zwar kein offizieller bilateraler Antrittsbesuch des neuen italienischen Außenministers in Wien, doch Antonio Tajani wollte seine Reise nach Wien auch für ein Treffen mit seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Schallenberg nützen. Eigentlich nahm Tajani an einer Tagung der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament zum Thema "Religion und die Zukunft Europas". Am Mittwochabend traf er aber Schallenberg und sprach mit ihm über die aus italienischer Sicht reformbedürftige Methodik zur Entscheidungsfindung in der EU. "Die Einstimmigkeit blockiert Europa", meinte Tajani.

Antonio Tajani zu vorweihnachtlichem Besuch bei Alexander Schallenberg.
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Dieses Prinzip blockiere Lösungen sowohl bei der Hilfe für die Ukraine als auch in der Frage nach dem Umgang mit Migrantinnen und Migranten, die die EU erreichen. "Wenn man allein ist, kann man unmöglich eine Lösung finden", wurde Tajani von der APA zitiert. "Wir brauchen eine europäische Strategie, die kurz-, mittel- und langfristig wirkt. Wir müssen alle zusammenarbeiten."

EU-Arbeitsgenehmigungen als "Goodies"?

Kurzfristig werde es nötig sein, das Dublin-Abkommen abzuändern – das beinhalte ein Abgehen vom Prinzip der Einstimmigkeit und eine Übernahme des Prinzips der qualifizierten Mehrheit. "Der Weg ist lang, aber unverzichtbar für mehr Europa", sagte Tajani laut italienischer Nachrichtenagentur Ansa. Italien, wo seit Oktober eine Rechtsregierung am Ruder ist, sei nicht unsolidarisch, versicherte der konservative Expräsident des EU-Parlaments. "Aber die Regeln müssen von allen eingehalten werden" – damit meinte er explizit auch private Hilfsorganisationen, die in den vergangenen Jahren abertausende Menschen im Mittelmeer vor dem sicheren Tod gerettet und nach Ansicht der rechten Regierung in Rom widerrechtlich an Land gebracht haben.

Tajani stellte in diesem Zusammenhang Vereinbarungen mit nordafrikanischen Staaten in Aussicht, die sich zur Bekämpfung der irregulären Migration verpflichten. Das Thema ist keineswegs neu und wurde schon nach der Migrationswelle von 2015 in Europa landauf, landab intensiv diskutiert. Einen neuen Aspekt brachte Tajani dennoch aus Rom mit: Die kooperationswilligen nordafrikanischen Länder sollten im Gegenzug – gleichsam als "Goodies" – mehr EU-Arbeitsgenehmigungen für ausgebildete Arbeitskräfte in Landwirtschaft und Industrie erhalten.

Rom für "Flexibilität" bei Corona-Wiederaufbaufonds

Am Donnerstag sprach sich Tajani dann laut Ansa auch für Anpassungen der EU-Politik beim Corona-Wiederaufbaufonds aus. Das Paket (für Italien geht es dabei um knapp 200 Milliarden Euro) könne und solle zwar "nicht gekippt werden, aber Flexibilität ist notwendig. Der Fonds wurde geschaffen, um den Europäern zu helfen – aber nach der Coronavirus-Krise kam die Krise des Ukrainekrieges", so Tajani laut Ansa: "Die Situation hat sich geändert und war nicht vorhersehbar. In der Tat bitten viele Länder darum, (das Regelwerk zu ändern und Kommissionspräsidentin Ursula) von der Leyen scheint dazu bereit zu sein."

Im Zusammenhang mit dem langwierigen Themenkomplex EU-Erweiterung kündigte Tajani an, "schon in Kürze zusammen mit Minister Schallenberg nach Sarajewo reisen". "Wir befürworten die Kandidatur von Bosnien-Herzegowina für die Europäische Union." (gian, APA, Ansa 8.12.2022)