Julian Hessenthaler ist der Drahtzieher des Ibiza-Videos.

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Bei politisch heiklen Verfahren bräuchte es bessere Instrumente, sagt Julian Hessenthaler, der Drahtzieher des Ibiza-Videos, im Gastkommentar.

"Es ist ein Drecksvideo!" – so äußern sich drei Jahre nach der Veröffentlichung der frühere FPÖ-Chef und Vizekanzler H.-C. Strache und sein wiedergefundener Wingman, Ex-FPÖ-Klubchef Johann Gudenus, in einem Puls-24-Interview bei Corinna Milborn. Für interessierte Bürgerinnen und Bürger steht das Ibiza-Video wohl für einen Anstoß zu einer ganzen Reihe von Ermittlungen, Skandalen und Rücktritten bis hin zu ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Selbst die aktuellsten Enthüllungen durch die Chats des ehemaligen Öbag-Chefs und ÖVP-Generalsekretärs Thomas Schmid wären ohne Ibiza nicht denkbar.

Thomas Schmid soll auch im Jänner vor dem U-Ausschuss erscheinen. Der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium und spätere Öbag-Chef hofft auf den Kronzeugenstatus.
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Zaghafte Aufarbeitung

Ob durch die Veröffentlichung auch das Ansehen der Republik Österreich besudelt wurde oder doch eher eine bitter nötige Ausleuchtung der Gepflogenheiten in der österreichischen Politik stattfand, daran scheiden sich auch heute noch so manche Geister. Jedenfalls war die folgende Aufarbeitung viel zu zaghaft und wurde mehrfach behindert.

Anscheinend überwiegt aber doch langsam in weiteren Kreisen die Einsicht, dass das, was sich hierzulande unter der adrett gebürsteten und polierten Oberfläche zutrug, eben nicht normal ist. Dass Ibiza damit für absehbare Zeit nicht mehr mit einem hedonistischen Urlaubsinseltraum in Verbindung gebracht werden wird, sondern mit Auswüchsen der österreichischen Politik und ihrer Metastasenbildung – das liegt auf der Hand. Zu haarsträubend, zu peinlich, zu erschreckend ist all das, was bisher noch als unbewiesene, aber fundierte Vorwürfe an die Öffentlichkeit drang. Die Aussagen Schmids vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sind ein weiteres Glied in der Kette. Diese zeigen ganz eindeutig einen systemischen Machtmissbrauch.

Russischer Einfluss

Die Causa Ibiza hat bei näherer Betrachtung zwei große Problemfelder aufgezeigt: Da ist zum einen die Bereitschaft von höchsten Amtsträgern der Republik, für russische Investitionen zweifelhaften Deals zuzustimmen; zum anderen die Tatsache, dass Korruptionsbereitschaft nicht nur auf den obersten, sondern auch auf den anderen Ebenen der Bürokratie zu finden ist.

Da wurden einer angeblichen russischen Oligarchin für hohe Summen diverse lukrative Geschäfte, unter anderem die Übernahme der Kronen Zeitung, sowie staatliche Aufträge in Aussicht gestellt. Für mich persönlich war der Entschluss, dieses Video an die Öffentlichkeit zu bringen, immer von einer über die österreichischen Grenzen hinausgehenden Thematik geprägt: Es geht um nicht weniger als um Russlands Versuch, Einfluss auf politische Prozesse diverser Staaten wie Italien, Frankreich, Ungarn und Deutschland, und zwar bevorzugt über deren rechtspopulistische Parteien, zu gewinnen. Bei aller nationaler Unterschiedlichkeit eint Matteo Salvini, Marine Le Pen, Viktor Orbán und die AfD eine Haltung gegen das Establishment, gegen das System, die eindeutig antidemokratisch ist.

Es war der Moment kurz vor den EU-Wahlen, als viele anfingen, sich mit der Idee eines EU-weit vereinten Rechtspopulismus à la Donald Trump zu arrangieren. Wohin dies führte, konnte jeder spätestens am 6. Jänner 2021 beim Sturm auf das Kapitol verfolgen.

Parteien verpflichtet

Doch zurück zu den innerösterreichischen Problemen. Auf den Ibiza-Eklat folgten Ermittlungen, Befragungen und Untersuchungen, die ein weiteres massives Defizit zeigen, nämlich ein mangelndes Rechtsverständnis, das weitere Kreise bis hin zum Ex-Kanzler zieht. Diese zweite Thematik scheint jedoch weniger öffentliches Interesse gefunden zu haben, als ihr von ihrem Gewicht her zustünde.

Die bisherige Aufarbeitung von Ibiza hat zutage gebracht, dass es systemische Missstände innerhalb der nicht wählbaren staatlichen Einrichtungen gibt. Wie es die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper auf den Punkt bringt: Die Korruption findet auch auf der zweiten Ebene statt, sprich bei den Sektionschefs, den Staatssekretären und in den Kabinetten. Es ergibt sich ein Bild, dass sich Teile der Ministerien nicht unbedingt der Verfassung verpflichtet fühlen, oder – glaubt man den Ermittlungen – nicht einmal zwingend dem Gesetz, sondern vielmehr Parteien, einzelnen Gruppierungen, Vereinen und undurchsichtigen Netzwerken. Solange dem so ist, wird die Aufarbeitung von systemischen Missständen massiv erschwert werden.

"Formal mag die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens sein, de facto geben aber die Ermittler des Innenministeriums Richtung und Gangart vor."

Wie verändert man staatliche Strukturen, in denen sich Teile der Bürokratie dieser Veränderung aktiv widersetzen oder sie aus Eigeninteresse beziehungsweise Selbstschutz behindern oder unterlaufen? Formal mag die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens sein, de facto geben aber die Ermittler des Innenministeriums Richtung und Gangart vor. Das birgt vor allem bei politisch heiklen Verfahren die reale Gefahr einer Beeinflussung von Ermittlungen zum Nachteil des Rechtsstaates. Das Instrument eines parlamentarischen Sonderermittlers, wie es in anderen europäischen Ländern existiert, oder wie die von Strafrechtsprofessor Richard Soyer im Gastkommentar vorgeschlagene Gerichtspolizei (siehe "Die (Soll-) Bruchstelle der Gewaltenteilung") könnten da den Ansatz einer Lösung bieten. (Julian Hessenthaler, 9.12.2022)