"Mit den anderen mitzuschwimmen ist ein Kampf, den man gegen Große nicht gewinnen kann," sagt Michael Reimer, Eih´gentümer des "Schokomichi".

Foto: christian fischer

Versteckt in einer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk liegt in einem Innenhof eine kleine Schokoladenfabrik. Michael Reimer alias "Schokomichi" hat das Süßwarengeschäft seiner Eltern übernommen und betreibt die Fabrik nun in der siebenten Generation.

STANDARD: Sie sind den ganzen Tag von Süßigkeiten umgeben, können Sie privat Schokolade noch genießen?

Reimer: Ich muss mich wirklich selber zurückhalten – ich habe ständiges Verlangen nach Schokolade. Wenn ich erzeuge, muss ich auch kosten – und muss dabei darauf achten, dass es nur beim Kosten bleibt.

STANDARD: Was ist Ihre Lieblingsschokolade?

Reimer: Ich mag sehr intensive Schokoladen mit hohem Kakaoanteil, weil es den intensiven Geschmack herausstreicht.

STANDARD: Wann war Ihnen klar, dass Sie den Familienbetrieb übernehmen wollen?

Reimer: Wenn mich jemand als Bub gefragt hat, was ich einmal werden möchte, habe ich immer gesagt, dass ich in die Firma einsteigen will. Ich habe sie behutsam renoviert, um das Original und die Seele der alten Fabrik von 1880 zu erhalten.

STANDARD: Ihre Neueröffnung fiel mitten in die Corona-Pandemie, die auch von Lockdowns geprägt war.

Reimer: Corona war natürlich ein schlechter Start, weil ich in der Zeit viele Kunden verloren habe. Ich habe mich aber durchgekämpft – wie viele andere auch. Mittlerweile habe ich mir aber schon wieder eine Kundschaft aufgebaut.

STANDARD: Als Selbstständiger in der Pandemie zu starten war ...

Reimer: Es war schon sehr schwierig, weil ich keine Unterstützung bekommen habe. Grund dafür war, dass ich eine Bauphase gehabt und wieder neu gestartet habe. Somit hatte ich keine Bilanz zum Vorjahr. Also war die Grundbedingung nicht gegeben, dass ich eine Unterstützung anfordern hätte können. Dadurch habe ich auch vorerst ohne Angestellte weitergemacht. Ich habe aber schon geplant, ab nächstem Jahr drei Angestellte einzustellen – weil man sonst auch die wichtigen Schritte nicht machen kann.

Der Start als Unternehmer war für Michael Reimer alles andere als einfach. Die Neueröffnung des "Schokomichi" fiel mitten in die Corona-Pandemie.
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STANDARD: Wie viele Stunden verbringen Sie täglich in der Fabrik?

Reimer: Seit 36 Jahren arbeite ich in der Fabrik immer zwischen 120 und 130 Stunden pro Woche. Der Schnitt momentan liegt bei 18 Stunden am Tag. In der Nacht bin ich immer bis zwei oder länger am Erzeugen. Es ist eine Vielfalt von Herausforderungen, nicht nur die Arbeit, auch die Sorgen, die man sich ständig macht. Aber egal, wie müde ich bin, am nächsten Tag gehe ich wieder voller Motivation und Freude ans Werk.

STANDARD: Die Zeiten sind auch jetzt nicht leicht mit Energiekrise und hoher Inflation. Was sind aktuell Ihre größten Herausforderungen?

Reimer: Es ist eine schwierige Zeit, niemand weiß, wo sie hinführt. Das kann so nicht bleiben, dass künftig alles dreimal so teuer wird. Das ist für den Kleinen genauso nicht schaffbar wie für den Großen. Wir haben jetzt teilweise noch alte Verträge – deswegen habe ich die Verteuerung bei der Energie noch nicht so gespürt. Ich glaube fest daran, dass sich auf europäischer und politischer Ebene etwas bewegen muss.

STANDARD: Woher kommen Ihre Schokolade und Ihre Zutaten?

Reimer: Ich arbeite nicht von der Bohne weg, das ist momentan für mich noch unmöglich. Es wäre aber mein Traum und ist geplant sowie behördlich auch schon angemeldet. Bis dorthin arbeite ich mit verschiedenen Kuvertüren, die ich auch mische, damit ich einen anderen Charakter herausbekomme – auch mit Kakaomassen teilweise. Biozertifikate habe ich noch keine, weil sie sehr teuer sind. Ich versuche, sehr viel in Österreich und nur beste Qualität zu kaufen – was halt möglich und leistbar ist.

STANDARD: Welches Produkt wird am meisten gekauft?

Reimer: Die Wiener Schichten sind sehr beliebt, weil sie mit der Tradition verbunden sind, ebenso die Wiener-Seele-Pralinen oder der Schokomichi-Gugelhupf mit selbstgemachtem Nougat. Ich habe auch Schokolade, die hauchdünn ist und am Gaumen schmilzt. Es ist die Vielfalt – viele fühlen sich von ihr angezogen. Auch, dass es bei mir viele Produkte gibt, die es woanders nicht gibt: Curry-, Zwiebel-, Knoblauchschokolade, Schokoladen mit Algen oder geriebenem Speck. Weil sie so beliebt sind, mache ich heuer auch wieder kleine Christbäume und das von mir erfundene und patentierte Neujahrsschweinchen.

STANDARD: Zu Ostern gibt es immer den "Osterhasenstreit", gibt es so etwas auch in der Weihnachtszeit?

Reimer: Das spielt sich oft bei großen Firmen ab, die ihre Position verteidigen. Ich habe das nicht.

STANDARD: Wie positioniert man sich gegen Supermärkte und Ketten?

Reimer: Mit den Charakteristiken, die ein kleines Unternehmen ausmachen: mit hoher Qualität und Innovativität. Es sind die Ausführung und Persönlichkeit, die man hineinstecken muss. Mit eigenen Ideen ist man am wettbewerbsfähigsten. Mit den anderen mitzuschwimmen ist ein Kampf, den man gegen Große nicht gewinnen kann – nicht gegen die Menge oder den Preis.

STANDARD: Wo sind Ihre Produkte erhältlich?

Reimer: Vor allem hier in der Schokomichi-Fabrik, aber auch immer mehr bei Händlern – bei spezialisierten oder Feinkostgeschäften. Auch bei Firmen für Mitarbeiter- oder exklusive Schokoladengeschenke für Geschäftspartner. Vorerst bin ich in Wien vertreten, aber derzeit habe ich viele Anfragen von allen Bundesländern.

STANDARD: Wie sind Ihre Umsatz- bzw. Entwicklungsaussichten?

Reimer: Ich kann keinen Umsatz nennen, weil ich ja noch eine sehr junge Firma habe. Von den Zahlen wird es immer besser. Es geht in die richtige Richtung.

STANDARD: Wie geht die Geschichte Ihres Hauses?

Reimer: Meine Familie ist seit drei Generationen in der Schoko- und Süßwarenbranche. Darunter auch in diesem Haus. Besitzergenerationen für die Fabrik müsste ich durchzählen, aber ich glaube, es sind sieben. Der Betrieb ist immer mit Namensänderungen weitergeführt worden. Zuletzt hatten meine Eltern hier die Süwag-Schokoladenfabrik, in der ich 30 Jahre lang angestellt war. Mein Wunsch ist es, dass ich in erster Linie auch die Geschichte des Hauses weitertrage – dass ich eines von vielen Puzzleteilen bin.

STANDARD: Ihr Markenzeichen ist der Zylinder. Warum?

Reimer: Ich habe mich schon als Kind immer mit Zylinder gezeichnet, er hat mich fasziniert. Die Farben meiner Hüte sind aus meiner Seele heraus entstanden. Weil ich sehr bunt bin. Ich lasse auch immer gewisse Aussagen einfließen – sie stehen immer für Toleranz.

STANDARD: Schokolade, Marzipan, Windbäckerei – woran arbeiten Sie am liebsten?

Reimer: Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Schokolade. Ich bin immer auf der Suche nach der neuen Art von Schokolade. Bei neuen Ideen lässt es mir keine Ruhe, bis ich sie probiert habe. Ich versuche, Traditionelles zu machen, aber Neues einfließen zu lassen – damit auch immer ein frischer Wind weht. Ich arbeite daran, produktionsfähiger zu werden, dass ich noch interessantere Produkte bringe. Ideen habe ich noch ein paar Hundert.

(INTERVIEW: Pauline Severin, 9.12.2022)