"Wenn ich mit 23 schwanger geworden wäre, wäre das ein Desaster gewesen." Regisseurin Yngvild Sve Flikke

Foto: Imago

Rakel (toll: Kristine Kujath Thorp) beäugt potentielle Adoptiveltern skeptisch.

Foto: Motlys A/S

Norwegen hat zwei starke Filmjahre hinter sich. Joachim Triers Der schlimmste Mensch der Welt startete einen weltweiten Siegeszug, indem er mit der Dakota-Johnson-Doppelgängerin Renate Reinsve das "Manic Pixie Dream Girl" wieder aufleben ließ: die wunderhübsche, etwas verlorene junge Frau, die irgendetwas mit Kunst macht und traurigen Männern als sich latent entziehende Projektionsfläche dient. Im ebenfalls aus Norwegen stammenden Ninjababy haben wir es eher mit der "schlimmsten Mutter der Welt" zu tun, wie die Regisseurin Yngvild Sve Flikke im STANDARD-Interview augenzwinkernd meint.

Ein Kind von "Pimmel-Jesus"

Es geht um Rakel, eine 23-jährige, eher antriebslose Comiczeichnerin, die zu spät bemerkt, dass sie ungewollt schwanger geworden ist. Eine Abtreibung kommt im sechsten Monat nicht mehr infrage, und nicht alle Schwangeren bekommen einen Bauch, eröffnet ihr die Ärztin. Rakel ist geschockt, denn das bedeutet, dass nicht ihr netter, nach Butter duftender One-Night-Stand Mos (Nader Khademi) der Vater ist, sondern höchstwahrscheinlich "Pimmel Jesus": ein Kerl, der etwas zu stolz auf die Größe seines Gemächts ist. Gefeiert, getrunken, Drogen genommen hat sie auch, und Mutter werden will sie schon gar nicht.

Schwanger mit 23? Ein Desaster!

"Wenn ich wie Rakel mit 23 schwanger geworden wäre, wäre das ein Desaster gewesen", verrät die Regisseurin: "Zehn Jahre später gab es nichts, was ich mehr wollte. Wie kann dieselbe Person so verschiedene Ansichten haben?" Dieses Paradox und die vielen unterdrückten Ängste und Sorgen während einer Schwangerschaft und als Mutter haben die Regisseurin interessiert: "Muttersein ist komplex! Ich dachte, es sei hart, zwei kleine Kinder zu haben, aber Teenager … Ja, ich weiß nicht", sagt sie lachend. Viele ihrer Freundinnen hätten sich gegen Kinder entschieden, andere hätten Hilfe gebraucht, um schwanger zu werden: "In Norwegen sagen alleinstehende Frauen über dreißig: Ich fahre nach Kopenhagen. Und jeder weiß: Sie fahren in die Kinderwunschklinik, weil die Gesetze in Dänemark liberaler sind."

Frau und Mutter?

Ihre Filmfigur Rakel ist fest entschlossen, das Baby nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Am liebsten wäre ihr die Halbschwester, die keine Kinder bekommen kann, denn die anderen adoptionswilligen Paare sind Rakel zu geschniegelt. Doch dann kommen bei "Pimmel Jesus" plötzlich Vatergefühle auf und er hofft, dass Rakel auch ihre innere Mutter entdeckt.

Berlinale - Berlin International Film Festival

Die traditionelle Einheit von Frau- und Muttersein nimmt Ninjababy spielerisch aufs Korn. Auf ihrer Festivaltour sei ihr aufgefallen, dass der Film gerade in Südeuropa viel Resonanz erzeuge: "Ich denke, weil Mutterschaft und Frausein dort stärker kulturell verbunden sind. Aber es ist nicht natürlich für alle, Mutter zu werden. Wir müssen das respektieren und darüber sprechen." Flikke fand, es sei an der Zeit, einen lustigen Film über eine ungewollte Schwangerschaft zu machen, und das ist ihr gelungen: 2021 gewann er den europäischen Filmpreis als beste Komödie. Doch auf vielen Festivals weltweit haben Menschen aller Altersgruppen auch emotional auf das nach wie vor sensible Thema reagiert.

Das Baby als Comicfigur

Um dem Fötus, der sich laut Rakel heimlich wie ein Ninja eingenistet hat, eine Gestalt und eine Stimme zu geben, hat Flikke mit der norwegischen Zeichnerin Inga Sætre kollaboriert. Auf deren Comic Fallteknikk basiert Ninjababy lose. Als Animation fliegt das "Ninjababy" nun herum, spricht mit Rakel, beschwert sich über seinen Vater und möchte nur von Angelina Jolie adoptiert werden. Denn Angelina Jolie ist perfekt. Die ideale Frau, die ideale Mutter. Rakel ist beides nicht.

Das "Ninjababy" ist mit seinem Vater "Pimmel Jesus" (Arthur Berning) nicht einverstanden.
Foto: Motlys A/S

Durch die Midlife-Crisis zum Film

Yngvild Sve Flikke hat nie eine Filmschule besucht, gelernt hat sie ihr Handwerk beim norwegischen öffentlich-rechtlichen Sender NRK: "Ich machte dort für 19 Jahre alles, Spielfilme, Dokumentationen, meist für ein jüngeres Publikum, bis ich zwei Kinder und eine Midlife-Crisis bekam und mir dachte: Oh Gott, wenn ich jetzt nicht gehe, bleibe ich hier picken. Außerdem hatte ich keine Lust mehr auf Filme, die Frauen nicht zeigten, wie ich sie sah. Ich wollte lustige und emotionale Geschichten über norwegische Frauen schaffen."

Daraufhin entstand ihr Debüt Women in Oversized Men’s Shirts (2015), worin sie sich über das Hollywoodklischee der sexy-süßen Frau im Herrenhemd lustig machte. Seitdem sind viele interessante und diverse Figuren in Film, Streaming und Fernsehen angekommen. Gerade Schweden und Norwegen hätten Frauen und Diversität im Filmschaffen früh gefördert, doch Flikke, die im Vorsitz des norwegischen Regieverbands war, betont, dass es nicht nur um Repräsentation gehe: "Wenn du nur zwei Euro hast, um einen Film zu machen, hilft ein diverses Filmteam nichts. Filme machen kostet viel Geld, und das muss fair verteilt werden, damit es nicht immer nur dieselben Personen bekommen."

Statt Make-Up im Gesicht, Öl im Haar

Bei Ninjababy wurde beim Make-up gespart, denn Rakel sollte dem perfektionistischen Bild, dem junge Mädchen ausgesetzt sind, etwas entgegensetzen. Junge Frauen haben auch mal fettige Haare und ziehen an, was gerade so herumliegt: "Statt der Maske hatten wir einen Liter billiges Olivenöl am Set, und je mehr Probleme Rakel hatte, desto mehr Öl hat sich die Schauspielerin in die Haare geschmiert. Denn wenn du Probleme hast, dann denkst du nicht daran, fantastisch auszusehen." (Valerie Dirk, 9.12.2022)