Cornelia Hütter war in Lake Louise zweimal knapp dran, den ersten Saisonsieg für den ÖSV zu holen, obwohl ihr die Folgen eines Sturzes im Frühjahr noch immer zu schaffen machen.

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Es geht schon etwas weiter im österreichischen Skirennsport. Auch wenn die seinerzeit erfolgsverwöhnte Nation nach zwölf Rennen noch ohne Sieg dasteht, während etwa die Schweiz bereits fünfmal angeschrieben hat. Doch die jüngsten Ergebnisse in Übersee geben Hoffnung, dass der Bann bald gebrochen wird. Für Optimismus sorgte Nina Ortlieb mit ihrem bemerkenswerten zweiten Platz in der zweiten Abfahrt von Lake Louise. Es war erst das zweite Rennen der 26-Jährigen bei ihrem Comeback nach der im Jänner 2021 erlittenen schweren Knieverletzung. Auch Cornelia Hütter zeigte als Zweite (Super-G) und Dritte (Abfahrt) auf, wobei die 30-Jährige einmal nur um zwei, dann um sechs Hundertstel den Sieg verpasste, obwohl sie die erste Abfahrt wegen Kopfschmerzen und Sehstörungen als Folge ihres Sturzes im Februar noch sausen lassen musste.

Bei den Männern kam Daniel Hemetsberger (31) eine Woche davor einem Sieg am nächsten. Er musste sich als Zweiter in der Abfahrt von Lake Louise Norwegens mittlerweile dreifachem Saisonsieger Aleksander Aamodt Kilde (30) auch nur um sechs Hundertstel beugen. Die Arrivierten wie Matthias Mayer (32, einmal Dritter, zweimal Vierter) oder Vincent Kriechmayr (31, Vierter und Fünfter) sind bisher noch unter ihren Möglichkeiten geblieben.

Beim Studium der Ergebnisse fällt vor allem eines weiterhin auf: die Stagnation bei Nachdrängenden. Die Verantwortlichen im Skiverband ÖSV haben das Problem zwar schon vor Jahren erkannt, aber noch nicht gelöst, sondern an ihre Nachfolger weitergegeben. Und auch wenn der ÖSV neben der Schweiz über das größte Budget verfügt, so hapert es im Gegensatz zu den Eidgenossen diesbezüglich noch immer. Geld allein schießt keine Tore, Geld allein gewinnt auch keine Skirennen. Neben konstant gutem Training braucht es, was im Spitzensport nur beschränkt vorhanden ist, vor allem eines: Zeit.

FIS Alpine

Versäumnisse erkannt

Bereits 2019 hatte der damalige Sportdirektor Toni Giger in einem STANDARD-Interview betont, wie wichtig es sei, dass sich alle besser auf unterschiedliche Verhältnisse und Kurssetzungen einstellen. Geplant war damals auch, mehr Substanz aufzubauen, um die Dichte an der Spitze zu erhöhen. Zudem wollte man den potenziellen Stockerlkandidaten zu mehr Konstanz verhelfen.

Eine merkliche Verbesserung der Leistungen ließ abgesehen von starken Auftritten bei den Großereignissen auf sich warten, wie immer spielten dabei aber auch Verletzungen eine nicht unwesentliche Rolle. In der Folge wurde der Nationencup nach 30 Erfolgen en suite zweimal hintereinander Beute der Schweizer, ehe er 2022 wieder gewonnen werden konnte.

Als einer der Gründe für die nicht mehr den Ansprüchen genügende Zahl an Siegen wurde eine Vernachlässigung des früher stets als wesentlich angesehenen Riesentorlauftrainings angeführt. Zudem habe man sich im Nachwuchsbereich zu sehr auf das Rennfahren an sich konzentriert und weniger auf das grundtechnische Skifahren und die Flexibilisierung – etwa mit Ausflügen in unpräpariertes Gelände. Genau in dem Bereich will auch Herbert Mandl ansetzen. Der Sportliche Leiter Ski alpin will "vermehrt junge Leute zum grundtechnischen Skifahren holen, um eine skitechnische Basis zu legen". Damit sie später auch auf hohem Niveau und auf schlechten Pisten reüssieren können. Zudem will Mandl "die Fähigen aus dem Mittelbau fördern", damit die Stagnation an der Spitze behoben werden kann.

Mit dem Rücktritt von Marcel Hirscher im Herbst 2019 ging eine Zäsur einher, die sich bereits davor abgezeichnet hatte, aber im Schatten der Marcel-Mania lange unbemerkt blieb. So wurde verabsäumt, den Nachwuchs – sofern überhaupt mit genügend Potenzial ausgestattet – an die Spitze zu führen. Das kritisiert auch Felix Neureuther in der Süddeutschen Zeitung . Das frühere deutsche Slalomass vermutet, dass man sich in der Vergangenheit im ÖSV zu viel ausgeruht und so die Möglichkeit verpasst habe, der Jugend ohne Druck auf die Sprünge zu helfen, während ohnehin Hirscher einen großen Teil der Erwartungen auf seine Schultern lud. Neureuther erinnert sich zwei Jahrzehnte zurück: "Da waren die Österreicher so breit aufgestellt, dass sie alles in Grund und Boden gefahren sind. Sie waren so gut, dass sie sich gegenseitig pushen konnten."

Wunderwuzzi vermisst

Österreich verfügt aktuell über keine Ausnahmefigur und schwächelt auch als Team. Darauf zu hoffen, dass ein Wunderwuzzi à la Marco Odermatt (25, zweifacher Saisonsieger) aus dem Hut gezaubert werden kann, wird zu wenig sein. Es gilt, die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, damit etwa ein sechster Platz von Raphael Haaser (25) in Beaver Creek keine Eintagsfliege bleibt.

In den vergangenen Jahren wurden die Kaderrichtlinien und Trainingsgruppen immer wieder adaptiert, damit jedoch nicht immer das Optimum herausgeholt. Kurioses Beispiel: Johannes Strolz. Der Vorarlberger fiel im Frühjahr 2021 aus dem Kader, musste seine Karriere vorübergehend selbst organisieren und finanzieren und gewann mit 28 völlig überraschend im Jänner 2022 den Slalom in Adelboden. Bei Olympia in Peking legte er zwei Goldene und eine Silberne nach. Es kann eben individuell dauern, bis Mensch und Material eine Einheit bilden, die auf höchstem Level reüssiert.

Ein anderes Beispiel ist Romed Baumann. Der Tiroler verlor 2019 seinen Kaderplatz im ÖSV und wechselte mit 33 nach Deutschland, wo es mit ihm wieder bergauf ging. Bei der WM 2021 in Cortina d’Ampezzo verpasste er Gold im Super-G (Kriechmayr) nur um sieben Hundertstel.

Am Wochenende wird sich beim Comeback des Weltcups in Europa zeigen, inwieweit die Technikspezialisten Fortschritte gemacht haben. In Val d’Isére (Männer) und Sestriere (Frauen) stehen je ein Riesenslalom und ein Slalom an. Hoffnungsträger sind Marco Schwarz (27) und Manuel Feller (30) sowie Katharina Liensberger (25) und Katharina Truppe (26), die als Dritte im Slalom von Killington für das bisher beste ÖSV-Ergebnis in technischen Disziplinen sorgte. (Thomas Hirner, 8.12.2022)