"Wosapp Vienna!" – Das hat man schon ein- oder zweimal gehört. Little Simz gastierte im Gasometer.

Foto: Imago

So ein Feiertag unter der Woche haut einen aus der Kurve. Donnerstags war es wieder so. Supermärkte zu, nur die Konsumtempel machten Lärm in der ach so stillen Zeit. Ein Tag wie gemacht dafür, die Beulen des Trainingsanzugs auf der Couch zu vergrößern. Aber nicht.

Little Simz durchkreuzt diese Fantasie und ist am Abend weit und breit die Einzige in der Gummibandhose. Sie steht auf der Bühne und sportelt, wenn man so will. Schließlich gilt Hip-Hop-Tanz als eines von vielen Angeboten für Großstadtmenschen, die den müden Body ein wenig moven wollen. Im Gasometer wird dieses Ansinnen von Little Simz gewissermaßen mit dem Gütesiegel der Kunst geadelt. Immerhin heimste die Britin den heurigen Mercury Prize für ihr aktuelles Album Sometimes I Might Be Introvert ein.

Ungemütliche Kunst

Hip-Hop ist zugleich eine per se ungemütliche Kunst, eine Anklage der Verhältnisse aus der Sicht von unten meist, von dort, wo gerne hingetreten wird. Da sollte wenigstens das Tuch gemütlich sein. Dermaßen angetan, schlich Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo auf die Bühne, Jubel im Saal. Simbi, wie ihre Fans sie rufen, ist ein Kumpeltyp. Eine authentische Figur, die es nach oben geschafft hat.

Einerseits als Darstellerin in der Netflix-Serie Top Boy, andererseits mit ihrer Musik, die der egomanischen Generation Z entsprechend alles aus ihren Schuhen heraus betrachtet: "I", "me", "my", "mine" – selten findet sich da ein "we". Dabei wirkt sie nicht, als sei ihr alles egal, als sei sie asozial – im Gegenteil. Man muss ihre Berichte nach dem Prinzip pars pro toto hören: Ein Teil steht für das Ganze.

Schmalhansiges Livesetting

Ebenso klein erschien ihr Livesetting. Statt mit Band kam sie schmalhansig mit "DJ" angereist, einem plattenlosen, zeitgemäßen Laptopisten, der neben Mouseclicks die zweite Stimme und etwas Synchrontanz und Gute-Laune-Animation nach dem Hip-Hop-Handbuch von 1987 beisteuerte. Hip-Hop ist in so einem Setting eine eher zähe Jause, wenn da ein Trainingsanzug eine Stunde lang ins Mikro bellt.

Doch Little Simz besitzt Charme und ist eher eine stille Chronistin als eine Cholerikerin. Ihre Musik ist wie bei vielen britischen Rap-Acts durchzogen von Charakteristika aus der Clubmusik und dem, was Pop daraus destilliert hat. Zudem ist sie Bestandteil des Universums der Band Sault, deren Chef Dean Josiah Cover das musikalische Mastermind hinter Little Simz ist.

Zeitlupe und routinierte Anekdoten

Live ergab das eine halbwegs ansprechende Show. In Zeitlupensongs bewegte sich die 28-Jährige abgebremst, so wie sie in schnelleren einen auf Workout machte: Speed sexte sie mit Ein-Finger-Piano-Spiel etwas auf, ansonsten baute sie auf die Sympathie, die ihr entgegengebracht wurde: "Wosapp Vienna!" Eh orsch, danke.

Sie badete volksnah in der Menge und erzählte, was sie Skeptikern entgegnet. Eine Anekdote, die sie an jedem Tourstop auf die jeweilige Stadt adaptiert, wie sich nach einer kleinen Recherche im Netz zeigt. Soll sein.

Selfish vom 2019er-Album Grey Area charmierte mit Anleihen aus dem 1990er-Jahre-Hip-Hop, Protect My Energy funktionierte als kleiner Egotrip, und bei Rollin Stone kam DJ ODC aus dem Büro, um zu shaken. Super, aber auf Dauer doch etwas unteraufregend. Auch Charme hat seine Grenzen; und die Action einer Band schlägt die eines Bands allemal. (Karl Fluch, 9.12.2022)