In Goldegg scheint man auf den Widerstand gegen die Nazis nicht stolz zu sein.

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Der Mensch hat einen Kopf. Darin kreisen Gedanken. Sie gehören dem Menschen. Sie sind privat. Aus dem Kreisen der Gedanken wird ein Entschluss, zum Beispiel: In diesem ungerechten Angriffskrieg kämpfe ich nicht mit. Die privaten Gedanken führen den Menschen zur Verweigerung einer Pflicht, die ihm der Staat aufzwingt. Der Mensch zieht sich zurück. Er flieht in die Berge. Der Mensch desertiert. Aus privaten Gedanken wird – gleich ob von dem Menschen beabsichtigt oder nicht – politisches Tun oder, wie bei einer Desertion, ein Unterlassen.

Monate später finden die Schergen des Regimes den Deserteur, verhaften ihn und sperren ihn in ein Lager. Dort schlingt einer einen Strick um den Hals des Deserteurs. Die Gedanken stocken. Die Füße verlieren den Halt. Der Strick strafft sich. Der Mensch baumelt. Die Gedanken sind fort. Der Mensch stirbt. Stirbt er privat? Er erleidet sein Sterben als Einzelner. Doch sein Tod war Mord. Veranlasst vom totalitären Unrechtsstaat, verübt von Beauftragten. Politisch also. Politischer Mord wegen privater Gedanken, die zur Verweigerung staatlich geforderter Handlungen führten. Zwischen erstem Gedanken und letztem Knacken des Genicks hat sich Privates zu Politischem gewandelt.

Befremdliche Sichtweise

Privat oder politisch, passiver oder aktiver Widerstand oder kein Widerstand. Diese Zuschreibungen benutzten österreichische Behörden jahrelang und ziemlich willkürlich unter anderem zu dem Zweck, Anträge von Opfern des Nationalsozialismus auf Leistungen nach dem Opferfürsorgegesetz 1947 abzulehnen. Das hat sich auf Bundesebene zwar langsam, aber schließlich grundlegend geändert.

Umso mehr befremdet im Jahr 2022 die Sicht des Direktors des Salzburger Landesarchivs, Oskar Dohle, und des Historikers Johannes Hofinger, die neben dem grünen Vizebürgermeister Cyriak Schwaighofer für die Neufassung der Goldegger Chronik verantwortlich zeichnen. Darin wird etwa ein Goldegger Bäcker, der sich gegen den NS-Staat äußerte, zum Widerstand gezählt.

Jene Goldegger Bäuerinnen und Mägde aber, die in Konzentrationslager deportiert wurden, weil sie ihre von der Wehrmacht desertierten Verwandten mit Lebensmitteln versorgt hatten, sucht man im Kapitel "Widerstand, Verfolgung, Ermordung" ebenso vergeblich wie die Goldegger Wehrmachtsdeserteure selbst. In der Diskussion nach der Präsentation der revidierten Chronik erklären sich die beiden Historiker.

Oskar Dohle: "Diese Deserteure sind aus einem privaten Grund desertiert. Sicherlich nicht, um Österreich zu befreien, sondern um nicht in den Krieg zu müssen." Beweise dafür legt Dohle nicht vor, sondern er stellt die Gegenfrage: "Gibt es Belege, dass die Deserteure aus ideologischen Gründen nicht mehr in den Krieg gezogen sind?"

Mit dem gleichen Argument, das Dohle 2022 erneut vorbringt, haben österreichische Behörden bis in die 1960er-Jahre Anträge von Angehörigen der Goldegger Deserteure und deren Unterstützerinnen und Unterstützer auf Opferfürsorge abgelehnt. Johannes Hofinger sekundiert: "Dafür, dass es eine große Widerstandszelle in Goldegg oder in der Umgebung gegeben hätte, habe ich keine Anzeichen gefunden." Verstehen lässt sich Hofinger hier nur, wenn man hört, was er hinzufügt: "Die Deserteure waren nicht im Widerstand, sondern die haben sich entzogen."

Beitrag zum Widerstand

Sich zu entziehen konnte gleichwohl Rechtsfolgen zeitigen. Die nationalsozialistische "Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege" vom 17. 8. 1938 bezeichnet "sich dem Wehrdienst entziehen" ausdrücklich als eine Form des Delikts "Zersetzung der Wehrkraft" (§ 5, Abs. 1, Ziffer 3), das mit der Todesstrafe geahndet werden konnte (§ 5, Abs. 3). So verurteilte das "Sondergericht" Salzburg am 23. 6. 1943 den Senner und Melker Thomas Rieder aus Pfaffenhofen bei Saalfelden, der – noch vor seiner Einberufung – untergetaucht war, wegen "Kriegsdienstentziehung" zum Tode. Thomas Rieder wurde am 30. 7. 1943 im Alter von 31 Jahren in München-Stadelheim mit dem Fallbeil geköpft.

Aus dem Publikum bei der Präsentation in Goldegg kommt die Frage, ob es nicht in der Moskauer Deklaration von 1943 heiße, Österreich werde nur dann wieder frei sein, wenn es seinen eigenen Beitrag zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus nachweisen könne? Ob man auf den Widerstand in Goldegg nicht stolz sein könne? Hofinger beharrt: "Die Deserteure waren nicht im Widerstand (…). Das hat mit der Moskauer Deklaration im rechtlichen Sinn nichts zu tun."

Walter Manoschek, Herausgeber des Standardwerks über österreichische Wehrmachtsdeserteure, schreibt: "Die Alliierten hatten während des Krieges immer wieder darauf hingewiesen, dass die Desertion aus der Wehrmacht als Akt des Widerstandes zu werten sei und bei der Behandlung Österreichs nach dem Krieg eine Rolle spielen würde." Das Salzburger Landesgericht sieht das ähnlich. Dessen Vizepräsidentin, Christine Bittner, sagte am 27. September 2022 bei der Verlegung von 13 Stolpersteinen für Wehrmachtsdeserteure vor dem ehemaligen "Tatort Landesgericht", es sei höchste Zeit, dass die Männer, die sich in der NS-Zeit dem Mordapparat widersetzten und nicht mehr kämpfen wollten, einen Namen bekämen und ihr Mut und ihr Widerstand in Form der Stolpersteine gewürdigt werde (Salzburger Nachrichten, 28. 9. 2022).

Doch Hofinger legt auf seinen und Dohles Rückfall in längst überholte Anti-Deserteurs-Argumentationen noch eine Schaufel nach: "Und auch sonst scheint die Bevölkerung eher passiv gewesen zu sein." In seinem Text führt Hofinger gleichwohl die Goldegger Gendarmeriechronik von 1944 an, in der es heißt, dass einige Deserteure "von der Bevölkerung (…) alle nur mögliche Unterstützung erhalten, weshalb auch eine Festnahme der Flüchtigen bis heute noch nicht erfolgen konnte".

TodeskandidatInnen

Hofinger weiß auch, dass am 2. 7. 1944 in Goldegg etwa 50 Angehörige, Freunde und Freundinnen der Deserteure festgenommen wurden. 21 von ihnen, und zwar hauptsächlich Frauen, wurden in verschiedene Konzentrationslager deportiert, und drei dieser Frauen sind auf dem Transport oder im KZ verstorben. Von den männlichen Unterstützern der Deserteure wurden drei in Mauthausen und einer in Dachau ermordet. Insgesamt brachte die Goldegger Razzia vom 2. 7. 1944 14 Personen um ihr Leben.

In diesem Zusammenhang von einer "eher passiven Bevölkerung" zu sprechen kommt dem Versuch einer Auslöschung des Goldegger militärischen und vor allem des weiblichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus gleich. Folgte man Hofingers und Dohles Argumenten, müsste man zu der Ansicht gelangen, die Unterstützer und Unterstützerinnen der Goldegger Deserteure wären 1944 aus privaten Gründen in die Konzentrationslager Bergen-Belsen, Dachau und Ravensbrück gereist. Dort waren sie dann nicht Gäste, sondern Todeskandidatinnen und Todeskandidaten.

Bis in die 1960er-Jahre wurden manche Opferfürsorgeansuchen der Goldegger Unterstützerinnen abgelehnt, weil sie als politische Häftlinge galten, andere Ansuchen wurden aber abgelehnt, weil die Antragstellerinnen ja nur Familienangehörige oder Freunde unterstützt hätten. 2022 maßen sich zwei nachgeborene Historiker nun an, das Handeln dieser Frauen erneut als "privat" zu entwerten. Wozu und wem dienen solche Argumente außer dazu, Opfer des Nationalsozialismus weiterhin der Willkür preiszugeben? Argumente, die nicht nur den Widerstand der Männer und Frauen von Goldegg auszulöschen versuchen, sondern die auch das geltende Rehabilitationsgesetz vom Tisch wischen.

Kriegsdienstverweigerer Karl Rupitsch bei seiner Hochzeit im Jahr 1934 mit Maria Posch. Rupitsch wurde am 28.10.1944 in Mauthausen gehenkt.
Foto: Brigitte Höfert

Das für Anträge auf Rehabilitierung nach diesem Gesetz zuständige Landesgericht für Strafsachen Wien schreibt auf seiner Website: "Seit Dezember 2009 ist das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz in Kraft, mit dem alle Opfer der NS-Militärjustiz (…) pauschal und umfassend rehabilitiert sind. Eine späte Gerechtigkeit, die die zunehmende gesellschaftliche Wahrnehmung von ‚Delikten‘ wie Desertion aus der deutschen Wehrmacht als nicht nur legitime, sondern notwendige Widerstandshandlungen widerspiegelt."

In diesem Gesetz spricht die Republik Österreich allen Deserteuren und sonstigen von der NS-Militärjustiz verfolgten Personen die Achtung aus (§ 4). Ohne Einzelfallprüfung. Dieses Gesetz führt die Behauptung, die Desertionen in Goldegg wären aus privaten Gründen notwendig gewesen, ad absurdum. Dieses Gesetz fragt nicht nach Motiven der Deserteure.

Ob die Deserteure Zeugen Jehovas, Kommunisten, Katholiken, Sozialdemokraten, Pazifisten oder mutige Feiglinge waren, ist dem Gesetzgeber gleichgültig. Alle Deserteure der Wehrmacht sind rehabilitiert. Und die Republik Österreich spricht nicht nur allen Deserteuren, sondern ausdrücklich auch deren Familien die Achtung aus, die ihnen die Entscheidungsträger der Gemeinde Goldegg sowie die Historiker Dohle und Hofinger verweigern und damit das Rehabilitationsgesetz ignorieren.

2009 hat die FPÖ als einzige der im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien gegen diesen Gesetzesvorschlag gestimmt – mit ähnlichen Argumenten, die Dohle und Hofinger im Jahr 2022 immer noch strapazieren.

Ausbleibender Widerspruch

In der Diskussion erwartet man nun den Widerspruch des grünen Vizebürgermeisters von Goldegg, Cyriak Schwaighofer. Hat doch die grüne Bundespartei gemeinsam mit ehemaligen Wehrmachtsdeserteuren und einem privaten Personenkomitee die grundsätzliche Neubewertung der Wehrmachtsdesertion eingeleitet, die 2009 zu dem erwähnten Bundesgesetz führte.

Doch Cyriak Schwaighofer schweigt. Fremd zu sein scheint ihm die Stellungnahme seiner Parteikollegin Terezija Stoisits, die sie bereits 2005 zum Anerkennungsgesetz abgegeben hat. Stoisits folgte der Argumentation des Experten für Wehrmachtsdesertion, Walter Manoschek, und ergänzte: "Das Entscheidende war die richtige Tat, das Verlassen der Wehrmacht. Auch die Angehörigen von Wehrmachtsdeserteuren litten und leiden zum Teil bis heute unter der fortgesetzten Stigmatisierung. Solchen Verhältnissen sollte jedoch bereits seit Beginn der Zweiten Republik und insbesondere spätestens im Gedenkjahr 2005 unmissverständlich entgegengetreten werden." Schwaighofers Schweigen bedeutet Einverständnis mit einer Argumentation, die in Österreich einzig Vertreter der FPÖ und manche Kameradschaftsbundmitglieder der ältesten Generation bis heute aufrechterhalten.

In seinem Vorwort der revidierten Chronik schreibt Dohle, Goldegg habe, wie alle Orte im heutigen Österreich, eine NS-Vergangenheit, das sei Tatsache und keine "Schande". Was bedeutet dieser Satz? Der Nationalsozialismus war Normalität, an der fast alle teilgenommen haben, und deshalb muss sich niemand für nichts nicht einmal entschuldigen? Millionenfacher Mord wäre keine Schande? Soll das die Botschaft des obersten Archivars des Landes Salzburg sein? Oder will Dohle mit seiner Beschönigung lediglich die Leserschaft einstimmen auf die Frage im Untertitel der revidierten Ortschronik: War Goldegg ein ganz normaler Ort der "Ostmark"?

Seltsame Frage – als ob je jemand daran gezweifelt hätte, dass Goldegg von März 1938 bis Mai 1945 ein gewöhnliches nationalsozialistisches Bergdorf der Ostmark gewesen sei. Welche neuen Erkenntnisse könnte die Beantwortung dieser Frage bringen? Ich finde keine Antwort. Ihr Leben setzten GoldeggerInnen wie BrambergerInnen, wie KuchlerInnen aufs Spiel, gleich ob Deserteure oder UnterstützerInnen, und viele bezahlten den Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit ihrem Leben.

Weitgehend unerforscht ist die Frage, ob und welche Verbindungen zwischen den Salzburger Deserteuren bestanden. Von den Biografien der Deserteure und ihrer UnterstützerInnen ist nicht viel bekannt. Alle UnterstützerInnen der Goldegger Deserteure wurden ohne Gerichtsurteil in Konzentrationslager deportiert. Wie war das möglich? Diese Frage wird in der revidierten Chronik nicht thematisiert. Hinweise auf die Opferfürsorgeverfahren der Deserteure und ihrer UnterstützerInnen sucht man vergeblich.

Vertiefende Forschung zu solchen Fragen wäre höchst an der Zeit. Doch die Klärung dieser Fragen dürfte weder die Entscheidungsträger der Gemeinde Goldegg interessieren noch das Team, das für die Neufassung der Chronik verantwortlich zeichnet.

In "In der Kurve" (2014) rekonstruiert Filmemacherin Gabriele Hochleitner die Geschehnisse um die SS-Razzia vom 2. 7. 1944. Sichtungslink anfragen unter: ellahochleitner@yahoo.at
Foto: Gabriele Hochleitner

Während der Goldegger Diskussion beginnt man zu ahnen, worauf Hofingers Frage nach dem Goldegger Alleinstellungsmerkmal abzielt. Hofinger sagt: "Was aber Goldegg über jeden anderen Ort der Ostmark heraushebt, ist nämlich nicht, dass es dort Widerstandskämpfer gegeben hat oder dass es Deserteure gegeben hat, so muss man eigentlich sagen, die sich (…) entzogen haben, das gibt es in vielen anderen Gemeinden (…). Aber die Macht des Apparates, der auf die Jagd gegangen ist, das ist (…) wirklich einmalig, (…) wie die SS vorgegangen ist, wie die Verhöre waren, (…) die Repressionen gegen die Bevölkerung (…), wie also die Aggression sich insgesamt im Sommer 1944 entladen hat in Goldegg, das ist etwas Einmaliges. Das ist das, was Goldegg über alle anderen Orte im Dritten Reich oder in der Ostmark hinaushebt."

Alleinstellungsmerkmale

Indem Hofinger die SS-Razzia am 2. 7. 1944 mit der Punze des "Alleinstellungsmerkmals" stanzt, das wichtiger wäre als irgendein Widerstand gegen das NS-Regime, kann sich die Gemeinde Goldegg mehr denn je als Opfer des Nationalsozialismus darstellen, was sie schon bisher gern getan hat, und die eigentlichen Opfer weiterhin im Hintergrund sitzen lassen. Und weil diese Opfer, laut Hofinger, ja keinen Widerstand geleistet und laut Dohle ohnehin nur privat gehandelt hätten, liefern die beiden Historiker an die Gemeinde Goldegg die Argumente dafür, sich auch 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei den Angehörigen der Deserteure und deren UnterstützerInnen für die jahrelange Diffamierung nicht zu entschuldigen.

Mit dem Entschluss, ihre Chronik überarbeiten zu lassen, hatten die Entscheidungsträger der Gemeinde Goldegg 2018 einen wichtigen Schritt gesetzt. Das vorliegende Ergebnis und vor allem die Argumente der inhaltlich Verantwortlichen tragen allerdings nicht zum Verstehen bei, nicht zur Versöhnung, sondern eher zur Zermürbung des Publikums. Erreicht wurde lediglich, was Goldegg wohl möchte: Schwamm drüber.

Bühnenbauten für führende Salzburger Nazis und den Hinterwinkel für die Opfer, das zeichnete die alte Ortschronik aus und wiederholt sich in der revidierten Fassung – ist das Goldeggs Alleinstellungsmerkmal? Eine dritte Fassung der Goldegger Chronik wird es nicht geben. Das zeitwidrige Narrativ, das Dohle und Hofinger in die Welt gesetzt haben, wird in Goldegg tonangebend bleiben. Dieses Narrativ wird das jahrelange zivilgesellschaftliche Engagement des Vereins der "Freunde des Deserteurdenkmals in Goldegg" noch schwieriger machen.

Der Mensch hat einen Kopf. Darin kreisen Gedanken. Sie gehören dem Menschen. Sie sind privat. Aus dem Kreisen der Gedanken über die Neufassung des zeitgeschichtlichen Teils der Ortschronik Goldegg formt sich eine Erkenntnis: In Goldegg bleiben die Wehrmachtsdeserteure, ihre UnterstützerInnen und deren Angehörige weiterhin "all alone" – Worte des schottischen Dichters Ian Hamilton Finlay, eingraviert in das Deserteursdenkmal auf dem Wiener Ballhausplatz. Still all alone.

Doch warum? Und wozu? (Hanna Sukare, 12.12.2022)