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Eine Tatsache prägt das Leben in vielerlei Hinsicht: die Beharrlichkeit, mit der an Überzeugungen festgehalten und auf Überzeugungen gepocht wird. Grund dafür ist die kognitive Dissonanz.
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Kognitive Dissonanz, das ist der unangenehme Zustand, der sich einstellt, wenn Überzeugungen plötzlich mit Fakten und Tatsachen konfrontiert werden, die diesen Überzeugungen zuwiderlaufen. Kognitiv, abgeleitet vom lateinischen "cognoscere" = wissen und erkennen, steht für alles, was mit Wahrnehmen, Lernen und Wissen zusammenhängt. Dissonanz bedeutet Missklang, Unstimmigkeit. Die kognitive Dissonanz löst also einen Aufruhr im Kopf aus, dem man schnellstmöglich zu entfliehen versucht, indem trickreich die vorherrschenden Überzeugungen gestützt und verteidigt werden.

Der 1989 verstorbene amerikanische Psychologieprofessor Leon Festinger beschrieb das Phänomen der stoßfesten Beharrlichkeit, mit der an Überzeugungen festgehalten und auf Überzeugungen gepocht wird. Er erkannte außerdem: Menschen sind bestrebt, Ordnung in ihre Welt zu bringen. Das gelingt ihnen, indem sie Routinen und Gewohnheiten entwickeln. So wird beispielsweise zu immer gleichen Zeiten gegessen, werden dieselben Wege benutzt oder stets der Lieblingsplatz eingenommen. Und ebensolche Routinen und Gewohnheiten beherrschen auch die Abläufe in unserem Kopf. Damit wirken sie wie Steuerleute, die unser Denken lenken und dafür sorgen, dass wir daran festhalten. So entstehen eingefahrene und zunehmend verkrustete Ansichten, Meinungen und Glaubenssätze bis hin zur Ideologie. Aber auch die Gewissheit und Unbelehrbarkeit über das andere.

Abschottung zur Abwehr

Wenn nun das, was für die einen feste Überzeugung ist, von anderen in Zweifel gezogen und mit gegensätzlichen Erkenntnissen konfrontiert wird, müssen sich die Überzeugten dagegen verwahren. Und dazu schotten sie sich von allem ab, was ihre Meinung infrage stellt. Das gelingt, wie Festinger erkannte, indem festgefügte Überzeugungen mit den ihnen widersprechenden Erkenntnissen in Übereinstimmung und in Einklang gebracht werden. Festinger hielt fest: "Ein Mensch mit Überzeugungen lässt sich nur schwer ändern."

Dazu gibt es etwa die Oak-Park-Studie. Festinger wurde auf eine esoterische Sekte aufmerksam. Die Anführerin Dorothy Martin, eine Hausfrau aus Chicago, behauptete, von Außerirdischen die Nachricht über eine bevorstehende Sintflut erhalten zu haben. Die würde die Welt am 21. Dezember 1954 heimsuchen. Den Wassermassen, so Martin, würden nur wahre Gläubige entkommen. Und zwar mithilfe fliegender Untertassen, die von den Außerirdischen zu deren Rettung gesandt würden. Zusammen mit zwei weiteren Kollegen gelang es Festinger, Zugang zu der Sekte zu finden. Sie interviewten die Sektenmitglieder vor und nach dem 21. Dezember 1954. Je näher der Zeitpunkt des vorhergesagten Weltuntergangs rückte, desto mehr bereiteten sich die Sektenmitglieder auf das finale Ereignis vor. Einige verkauften ihr Hab und Gut, andere kündigten ihre Arbeit. Doch weder die in Aussicht gestellten rettenden fliegenden Untertassen senkten sich herab, noch überschwemmte eine Sintflut die Welt.

Naheliegend wäre es nun gewesen, dass sich die gefoppten Sektenmitglieder von Martin abgewendet hätten und von ihrem gemeinsamen, als Unsinn erkannten Glauben. Doch statt zuzugeben, dass sie sich kollektiv irrten, hielt die Sekte fest zusammen und an ihrem Glauben fest. Ihren Irrtum drehten sie in Erfolg um. Eine neue Nachricht der Außerirdischen, so berichteten sie, erklärte ihnen, sie hätten mit ihren Gebeten die Welt vor der Apokalypse gerettet. Somit gab es für sie keinen Grund, Martin den Rücken zu kehren und den Glauben als Hirngespinst anzuerkennen. Festinger schloss daraus: Die kognitive Dissonanz und das Bemühen, ihr zu entkommen, macht gegen Argumente und gegenteilige Erkenntnisse immun. Auf der Basis der Erfahrung mit der weltuntergangsgläubigen Sekte entwickelte Festinger seine Theorie der kognitiven Dissonanz. Sie zählt heute zu den wichtigen psychologischen Theorien.

Wer überzeugt ist wird erfinderisch

Psychologieprofessorin Eva Lermer forscht und lehrt an der Hochschule Augsburg und dem Center for Leadership and People Management der Ludwig-Maximilians-Universität München, sie erklärt die Überwindung der kognitiven Dissonanz. Einerseits können passende neue Informationen zur eigenen Überzeugung hinzugefügt werden. Andererseits werden entgegengesetzte Meinungen ignoriert und verdrängt. Außerdem werden kontroverse durch besser zur eigenen Meinung passende Informationen ersetzt.

Das Bedürfnis, an Überzeugungen nicht rütteln und sie nicht ändern zu müssen, macht außerordentlich erfinderisch. Das schlägt sich in der besonderen Offenheit für Informationen nieder, die zu der Überzeugung passen, oder der Geschwindigkeit, mit der zum Schutz des eigenen Denkmusters erklärende Argumente gezaubert werden. Es zeigt sich auch in der verblüffenden Energie, mit der störende Information gegen genehmere ausgetauscht werden. Und zu guter Letzt erklärt das auch die immer wieder in die Irre führende Schwierigkeit, Fehler einzugestehen. (Hartmut Volk, 16.12.2022)