Österreichs Kanzler Karl Nehammer auf Kuschelkurs mit Ungarns Premier Viktor Orbán und Serbiens Präsident Aleksandar Vučić – und auf Konfrontationskurs mit der EU, Rumänien und Bulgarien.

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SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner steht in dieser Frage der ÖVP näher als deren Koalitionspartner, die Grünen.

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Es war ein Thema, das in Österreich auch auf höchster Ebene verhandelt wurde. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe eindringlich versucht, Kanzler Karl Nehammer davon abzubringen, dass Österreich auf europäischer Ebene gegen die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum stimme. Und nicht nur die Grünen versuchten, die ÖVP von ihrem Veto abzubringen, nahezu die gesamte europäische konservative Partei habe den Kanzler in Wien bearbeitet. Und die meisten dachten wohl, hier werde nur Poker gespielt und geblufft. Bis sich der Kanzler und sein Innenminister Gerhard Karner zu Beginn dieser Woche festlegten: Es werde ein Veto geben.

Im europäischen Rat sind Minister frei in ihren Entscheidungen, daher braucht es auch keinen gemeinsamen Koalitionsbeschluss. Die Grünen wurden über das Veto informiert, abgestimmt wurde das nicht. Und die Grünen sind ernsthaft verstimmt. Das Vertrauensverhältnis habe massiv gelitten – einmal mehr, wie der grüne Abgeordnete und Europasprecher Michel Reimon festhält. Dennoch: Der Anlass reiche nicht aus, um deshalb in die Blockade zu gehen. Die Grünen werden in Hinkunft noch schärfer auftreten, gemeinsame Ergebnisse würden noch schwieriger werden: "Bei einer Einigung muss die Gegenleistung schon erbracht oder zumindest fixiert sein", sagt Reimon. Auf Vertrauen könne man nicht mehr bauen.

Niederösterreich ist schuld

Reimon ist in seiner Analyse sehr klar: Er hält die bevorstehende Landtagswahl in Niederösterreich für den entscheidenden Grund für das Veto der ÖVP. Es gehe nicht um die Sache, denn in sich sei der Beschluss der Volkspartei nicht nachvollziehbar. Es gehe um die Linie, um die Positionierung und letztlich um die Umfragen. Die ÖVP baue angesichts der aktuellen Umfragen auf einen scharfen Kurs in der Migrationsfrage. "Die ÖVP versucht, dem Aufstieg der FPÖ etwas entgegenzusetzen", sagt Reimon. Es sei paradox, dass sich Nehammer mit Ungarns Premier Viktor Orbán fotografieren lasse und Österreich hier einen Kuschelkurs fahre und man es sich gleichzeitig mit Ländern wie Rumänien und Bulgarien nachhaltig verscherze.

"Der Vizekanzler hat auch bereits klargestellt, dass wir das Veto Österreichs nicht unterstützt haben", sagte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) am Freitag in Brüssel. "Uns geht es vor allem um eine europäische Lösung, der erste Schritt zu dieser europäischen Lösung ist natürlich der Beitritt Kroatiens, und Bulgarien und Rumänien gehören zur europäischen Familie dazu, und innerhalb der europäischen Familie ist die Freizügigkeit großgeschrieben", erklärte Zadić. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass "wir da sehr bald eine europäische Lösung finden werden".

Schwierige Situation

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat das Veto Österreichs gegen die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum "außerordentlich" bedauert. Österreich befinde sich wegen des Zustroms von Flüchtlingen und Migranten zwar in einer äußerst schwierigen Situation. "Aber die Verbindung, die Verknüpfung dieses Problems mit dem Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, muss ich leider gestehen, die sehe ich nicht", erklärte Van der Bellen am Freitag.

"Ich sehe nicht, wie diese Blockade des Schengen-Beitritts Rumäniens irgendetwas ändert an der Situation in Österreich", betonte der Bundespräsident bei einer Pressekonferenz bei einem Besuch in Slowenien. "Ich sehe nur, dass wir uns eine Menge Unwillen zugezogen haben auf europäischer Ebene", fügte er hinzu.

Interessant ist, dass die größte Oppositionspartei, die SPÖ, mit dem Beschluss der ÖVP weit weniger Schwierigkeiten hat als deren Koalitionspartner. Die SPÖ begrüßt das Vorgehen Karners auf EU-Ebene und äußert Verständnis: "Die SPÖ ist grundsätzlich für die Schengen-Erweiterung. Wir sind aber skeptisch, ob der aktuelle Zeitpunkt angesichts der irregulären Migration der richtige ist", hieß es am Freitag auf Anfrage des STANDARD. (Michael Völker, 9.12.2022)