Paris gibt Pariser ab: Man könnte mit einem Schmunzeln aufnehmen, was Emmanuel Macron am Donnerstag eine "kleine Verhütungsrevolution" genannt hat – gemäß seiner Ankündigung können Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren ab 1. Jänner 2023 in den französischen Apotheken unentgeltlich und rezeptfrei Kondome beziehen.

In Frankreich sollen Kondome für junge Menschen gratis abgegeben werden (Archivbild aus den USA).
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Die Maßnahme, die den Staat nach ersten Schätzungen 21 Millionen Euro kosten dürfte, ist dem Staatschef aber auch politisch wichtig. Bei einer Jugendtagung rechtfertigte er sie mit der Aussage, die sexuelle Gesundheit sei ein "echtes Thema". Die Benützung des Präservativs stagniere, der Anteil von Geschlechtskrankheiten nehme dagegen gerade unter Jugendlichen zu. Deshalb plädierte Macron auch für die Impfung Jugendlicher gegen HPV (Humanes Papillomvirus), das Geschlechtskrankheiten überträgt

Frankreich debattiert seit langem darüber, wie weit sich der Staat um die bessere Verhütung gerade seiner jüngeren Bürgerinnen und Bürger kümmern soll. Seit 2018 werden ärztlich verschriebene Präservative durch die Sozialversicherung vergütet. Seit einem Jahr erstattet die Regierung von Präsident Macron bereits die Kosten für die Antibabypille zurück sowie für andere Verhütungsmittel wie Spiralen für Teenager und junge Frauen. Seit September können unter 25-Jährige die "Pille danach" kostenlos beziehen.

Die Fachwelt begrüßt den Schritt Macrons. Laut dem Arzt Pascal Pugliese, Mitglied des nationalen Aids-Rats, ist der Anteil von Sexualkrankheiten vor allem unter Jugendlichen im Zunehmen begriffen. Einzelne können oder wollen sich oft nicht einmal den Preis von durchschnittlich einem Euro pro Kondom leisten. Pugliese ist deshalb dafür, dass auch 16- und 17-Jährige Gratispräservative erhalten sollen.

Neuerliche Abtreibungsdebatte

Der Zeitpunkt der Ankündigung Macrons dürfte auch mit der weltweit neu aufkommenden Abtreibungsdebatte zu tun haben. In Frankreich sind alle – auch konservative – Rechtsparteien dafür, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung einzuschreiben. Damit wollen sie Vorstößen französischer Abtreibungsgegner zuvorkommen. Die Annahme liegt nahe, dass Macron mit den Gratispräservativen nicht nur den Sexualkrankheiten vorbeugen, sondern auch die Zahl unerwünschter Schwangerschaften verhindern will.

In den sozialen Medien gibt es vereinzelt Kritik an der Kondomabgabe. Macron wird vorgehalten, er übersehe seit Beginn der Corona-Krise systematisch die desolate Lage der Staatsfinanzen. Vereinzelt liest man in den sozialen Medien auch die Warnung, dass junge Leute die gratis bezogenen Präservative über das Internet wieder verkaufen könnten. Die Mehrheit der Jugendlichen meinte allerdings, die Abgabe von Kondomen in Apotheken sei so wichtig wie die Rückerstattung der Kosten für die "Pille". (Stefan Brändle, 9.12.2022)