Der UN-Ausschuss für Kinderrechte hat Österreich wegen des Aus- und Neubaus von Einrichtungen gerügt, in denen betroffene Kinder leben, statt genug ambulante Betreuung zu bekommen, um daheim zu wohnen.

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Der Umgang mit behinderten Menschen lasse in Österreich zu wünschen übrig –ihre Grundrechte würden vielfach nicht respektiert: Das ist eine Kernaussage des diesjährigen Menschenrechtsbefunds der Liga für Menschenrechte, der ältesten Menschenrechtsorganisation des Landes.

So setze man hierzulande vielfach auf Charityveranstaltungen statt auf Ausbau von Rechtsansprüchen behinderter Personen, sagte Petra Flieger, Sozialwissenschafterin und Vorstandsmitglied von "Integration Tirol", einem Verein von und für Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Das geschehe nicht nur im Rahmen der Aktion "Licht ins Dunkel". Von verschiedenen Uno-Gremien sei die Republik deshalb schon mehrmals zu Änderungen aufgefordert worden.

Kritik an "Licht ins Dunkel"

Auch Liga-Präsidentin Barbara Helige kritisierte, dass das Bild behinderter Menschen durch die alljährliche weihnachtliche Spendenaktion eines von "Almosenempfängern" sei. So "großartig" die Leistungen und das Engagement der an "Licht ins Dunkel" beteiligten Personen auch seien – zu einem durch Rechtsansprüche genährten Selbstbewusstsein stehe das im Gegensatz, sagte Helige.

Das Problem gehe über Verbesserungsbedarf hinaus, präzisierte Sozialwissenschafterin Flieger. Tatsächlich verschlechtere sich die Lage derzeit sogar. So würden seit mehreren Jahren Kinder und Jugendliche mit Behinderung verstärkt in spezielle Einrichtungen eingewiesen, statt daheim bei ihren Eltern zu leben.

In eine Einrichtung, weil es an ambulanten Hilfen fehlt

Schon Vorschul- und Volksschulkinder mit Behinderung übernachteten von Montag bis Freitag in sogenannten Sonderschul-Internaten. Meist, weil es in ihren Wohngemeinden an Hilfen für sie und ihre Familien mangle. In Groß- und Komplexeinrichtungen wiederum lebten behinderte Kinder gemeinsam mit behinderten Erwachsenen – in der Kinder- und Jugendhilfe sonst ein No-Go.

Statt diese "psychisch und körperlich schädliche" Institutionalisierung behinderter unter 18-Jähriger abzubauen, würden sogar neue Einrichtungen gebaut. "Der UN-Ausschuss für Kinderrechte hat Österreich deshalb schon gerügt."

Soziale Grundrechte in die Verfassung

Rückschritte bei der sozialen Teilhabe kritisierte auch der Rechtsanwalt Florian Horn. So bekamen etwa Sozialhilfebeziehende in sieben von neun Bundesländern weniger Geld als noch vor eineinhalb Jahren, weil die Wohnbeihilfe in den Höchstbeitrag hineingerechnet werden kann – gerade jetzt, wo alles teurer wird. Auch hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Kontrolle über die Krankenkassen verloren, weil sie seit Schaffung der Österreichischen Gesundheitskasse dort nichts mehr mitzureden haben.

Durchsetzbar seien solche Einschnitte auch, weil es hierzulande keine verfassungsrechtliche Absicherung der sozialen Grundrechte gebe. Im Unterschied etwa zu Deutschland und anderen europäischen Staaten sei es in Österreich möglich, "gute Errungenschaften mit einfacher Mehrheit wegzuwischen", kritisierte Horn.

Liga zeichnet Martin Schenk aus

Das griff auch Martin Schenk auf, Gründungsmitglied der Armutskonferenz und Sozialexperte der Diakonie Österreich. Eine stärkere Verankerung der sozialen Grundrechte würde dem Kampf gegen die Armut nutzen, sagte er – und forderte: "Wer von Menschenrechten spricht, darf zu Kinderarmut nicht schweigen."

Schenk erhält den diesjährigen Menschenrechtspreis der Liga "für sein Engagement bei der Bekämpfung von Armut und seine herausragenden Leistungen zur Umsetzung der sozialen Menschenrechte", so Helige in ihrer Laudatio. (Irene Brickner, 9.12.2022)