In einer Wiener Schule werden die Kinder bestimmter Glaubensrichtung jeweils in eigene Klassen gesteckt – offenbar weil sonst die Religionslehrer, die an mehreren Schulen unterrichten, mit ihrem Stundenplan nicht zurande kommen. Ein weiterer Fall von Personalmangel in den öffentlichen Diensten.

Aber auch mehr. Der christliche Religionsunterricht wird vor allem durch den Zuwachs an Schülerinnen und Schülern ohne religiöses Bekenntnis (oder auch bloßes Desinteresse) infrage gestellt. Aber auch durch die relativ hohe Anzahl muslimischer Schulkinder.

Meine Kollegin Muzayen Al-Youssef hat sich jetzt aus Anlass der Klassen-"Segregation" nach Religion dafür ausgesprochen, den Religionsunterricht überhaupt aus der Schule zu verbannen und durch einen Ethikunterricht (der natürlich auch die ethischen Grundlehren der Religionen enthalten müsste) zu ersetzen. Sie schreibt: "Religion ist Privatsache." Stimmt. Aber Religion ist auch ein allgemeines Kulturfundament.

Auch wenn viele das nicht mehr wissen oder wahrhaben wollen – jede Gesellschaft beruht auch auf dem religiösen Erbe. Der deutsche Bundespräsident Theodor Heuss sagte 1950, das "Abendland" (Europa) ruhe auf drei Hügeln: Golgatha, der Akropolis und dem Kapitol. Die Akropolis steht für die am Menschen orientierte griechische Philosophie und die Grundform der Demokratie. Das Kapitol für das römische Staats-und Rechtsverständnis. Golgatha für das Christentum (Neues Testament) und implizit für das Judentum (Altes Testament). Jahrzehnte später fügte Papst Benedikt XVI. hinzu, das Christentum habe seine Wurzel in der Verbindung zwischen Bibel und griechischer Philosophie.

Mit dem Rauswurf der Religion an den Schulen sollte man vorsichtig sein.
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Wesentlicher Bestandteil

In dem zitierten Hügelgleichnis fehlt die Aufklärung, die selbstverständlich genauso konstitutiv für Europa ist. Aber das ändert nichts daran, dass das Christentum (und implizit das Judentum) einen wesentlichen Bestandteil dessen bildet, woraus Europa entstanden ist. Ganz abgesehen davon, dass Europa ohne die grandiose Fülle an religiöser Kunst einfach ein Öde wäre. Europa ist undenkbar ohne Michelangelos Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle, ohne die romanischen, gotischen, barocken Kathedralen, die Hagia Sophia im ehemaligen Konstantinopel, um nur ein paar zu nennen.

An dieser Stelle verweisen kritische Leser gern auf die lange Litanei der Verbrechen der (katholischen) Kirche, von Hexenverbrennungen über die Kreuzzüge bis zur Unterdrückung des Fortschritts. Das ist alles wahr. Und es ist auch wahr, dass die Kirche durch Kindesmissbrauch und dessen Vertuschung bis heute schwere Schuld auf sich lädt.

Dennoch beruht ein großer Teil unserer Ethik nach wie vor auf einer religiösen Botschaft, verdichtet in der "Bergpredigt", in der Christus die Armen, die Friedfertigen, die nach Gerechtigkeit Suchenden seligpreist. Derlei kann man natürlich auch im Rahmen eines Ethikunterrichts lehren, ebenso wie die entsprechende Ethik des Islam oder die Grundsätze der Aufklärung usw. Vielleicht wird es eines Tages auch dazu kommen, was allerdings eine gigantische geistige Konzeption erfordern würde.

Bis dahin sollte man vorsichtig sein mit dem Rauswurf der Religion aus den Schulen, vielleicht den Religionsunterricht verbessern. Selbstverständlich muss religiöser Fanatismus scharf bekämpft werden, aber ohne das ethische und kulturelle Erbe der Religion(en) wäre unsere Gesellschaft ärmer, geistig anspruchsloser, ja trostloser. Schule soll bilden. Das Wissen um die Religionen gehört zur Bildung. (Hans Rauscher, 10.12.2022)