Korruptionsvorwürfe erschüttern das Europäische Parlament. Im Zentrum der Ermittlungen: die Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili. "Fassungslos" ist laut eigenen Aussagen Vizepräsidentin Nicola Beer über das Verhalten ihrer Kollegin.

Foto: Europäisches Parlament

Brüssel – Die wegen Korruptionsvorwürfen festgenommene griechische EU-Abgeordnete Eva Kaili ist als Vizeparlamentspräsidentin des Europäischen Parlaments suspendiert worden. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola entzog der 44-Jährigen "mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben" als ihre Stellvertreterin, wie eine Sprecherin Metsolas am Samstagabend mitteilte. Damit hat sie zwar offiziell das Amt der Vizepräsidentin noch inne, ist von den Vertretungsfunktionen aber entbunden. Über einen Absetzungsantrag muss das Präsidium entscheiden, dann das Plenum des EU-Paralments mit Zwei-Drittel-Mehrheit

Kaili und vier weitere Verdächtige waren am Freitag in Brüssel im EU-Parlament festgenommen worden. Hintergrund sind Ermittlungen zu mutmaßlicher Bestechung und Bestechlichkeit, Geldwäsche und versuchter Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch das Emirat Katar, den Gastgeber der laufenden Fußball-WM. Dem Parlament, das sich gern als Vorreiter im Kampf gegen Korruption sieht, droht ein ungeheurer Image-Schaden.

Seit Monaten schon verdächtigen belgische Ermittler nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen der Europäischen Union beeinflussen zu wollen. Nach Medien-Informationen handelt es sich dabei um Katar. Die Rede ist von erheblichen Geldsummen und Sachgeschenken an Personen, die eine politische oder strategische Position in dem Parlament mit mehr als 700 Abgeordneten innehätten.

16 Durchsuchungen

Am Freitag schlug die Staatsanwaltschaft dann zu: Zunächst gab es 16 Durchsuchungen. Am Abend wurde dann auch Kaili festgenommen, eine von 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten des Parlaments. Die ehemalige TV-Moderatorin ist mittlerweile zum Gesicht des Skandals geworden. Die 44-Jährige wurde für die Pasok-Kinal-Partei ins Parlament gewählt, die zur sozialdemokratischen Fraktion gehört.

Sie wurde aber umgehend aus Pasok-Kinal ausgeschlossen. Seitens der griechischen Sozialdemokraten hieß es, es gebe in der Partei "keine Toleranz" für Korruption. "Wir sind in einem solchen Fall kompromisslos", erklärte Pasok-Kinal-Sprecher Dimitris Mantzos.

Rede zur Fußball-WM in Katar

Mantzos sprach von "wichtigen und unüberbrückbaren Differenzen", zwischen Kaili und Pasok-Kinal. Diese würden "ihre Positionen und die von ihr vertretenen Werte" betreffen. Daher sei Parteichef Nikos Androulakis bereits vor Monaten auf Distanz zu Kaili gegangen. Androulakis hatte die EU-Abgeordnete bereits zu einem früheren Zeitpunkt einmal als "Trojanisches Pferd" der griechischen Regierungspartei ND (Nea Dimokratia) bezeichnet.

VIDEO: Die Vizepräsidentin des Parlaments, Eva Kaili, hielt am 21. November eine Rede im Europaparlament zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Darin erklärte sie, dass Katar im Rahmen der Fußball-WM bei Arbeitsrechten eine Vorreiterrolle gespielt habe. Quelle: Europäisches Parlament
DER STANDARD

Kaili hatte noch am 21. November eine Rede im Europaparlament zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete sie das Sport-Ereignis als Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Katar habe etwa bei Arbeitsrechten eine Vorreiterrolle gespielt. Sie ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 eine der 14 Vize-Präsidentinnen und -Präsidenten. Von 2004 bis 2007 war sie laut Lebenslauf auf der Parlaments-Homepage Nachrichtensprecherin und Journalistin, später auch noch PR-Beraterin in Griechenland.

Das Europaparlament kritisierte die WM-Vergabe an den Wüstenstaat vor gerade mal zwei Wochen und verwies auf "glaubwürdige Vorwürfe der Bestechung und Korruption". Der Ausrichter der laufenden Fußball-WM steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und der Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM nach Katar vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt. Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung jedoch stets bestritten.

Lebensgefährte ebenfalls festgenommen

Ebenfalls unter den Festgenommenen ist nach dpa-Informationen auch Kailis Lebensgefährte, der im Parlament als politischer Berater tätig ist. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurde auch ein ehemaliger Europaabgeordneter festgenommen sowie am Abend der italienischen Nachrichtenagentur Ansa zufolge auch dessen Frau und Tochter. Mit Ausnahme von Kaili haben alle Verdächtigen die italienische Staatsangehörigkeit. Bei Durchsuchungen in Belgien wurden 600.000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. Laut griechischen Medien soll auch der Vater Kailis dabei entdeckt worden sein, wie er sich mit einer Aktentasche voller Geld aus dem Staub machen wollte.

Der Zeitung "Le Soir" und dem Magazin "Knack" zufolge handelt es sich bei einem beschuldigten Ex-Europaabgeordneten um den italienischen Sozialdemokraten Pier Antonio Panzeri, der von 2004 bis 2019 im Parlament saß und heute die Nichtregierungsorganisation (NGO) Fight Impunity leitet, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen wendet. Eine Anfrage von AFP zu den Ermittlungen ließ Fight Impunity zunächst unbeantwortet.

Gewerkschafter unter Festgenommenen

Laut "Le Soir" und dem Magazin "Knack" wurden zudem ein parlamentarischer Mitarbeiter und der Vorsitzende einer weiteren NGO festgenommen – sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), der Italiener Luca Visentini.

Der IGB teilte auf seiner Website mit, die Organisation sei "über die in der Presse verbreiteten Informationen informiert", lehne jedoch "zum jetzigen Zeitpunkt" jeglichen Kommentar ab. Visentini hatte noch in dieser Woche in einem am Freitag von AFP veröffentlichten Interview über die Situation der Arbeiter in Katar gesprochen. Er rief insbesondere dazu auf, "weiterhin Druck auf die Behörden und Arbeitgeber auszuüben", um bessere Löhne und mehr Mobilität bei der Arbeit zu erreichen.

Parlamentspräsidentin will mit Behörden kooperieren

Metsola, unterstrich in einer Stellungnahme die Bedeutung des Kampfes gegen Korruption. "Unser Parlament steht entschieden gegen Korruption", schrieb die Politikerin aus Malta am Samstag auf Twitter. Metsola versicherte jedoch, das Parlament werde uneingeschränkt mit allen zuständigen Strafverfolgungs- und Justizbehörden zusammenarbeiten. "Wir werden alles tun, was wir können, um den Lauf der Gerechtigkeit zu unterstützen.

"Ähnlich äußerte sich die sozialdemokratische Fraktion des Parlaments. Die Fraktion habe keine Toleranz für Korruption. Zugleich müssten im Parlament die Arbeit an allen Themen, die die Golfstaaten betreffen, sowie die Plenarabstimmungen dazu ausgesetzt werden.

Ob sich die Vorwürfe erhärten, dürfte sich schon bald zeigen. An diesem Sonntag will die belgische Justiz darüber entscheiden, ob die fünf Festgenommenen im Gefängnis bleiben.

Pasok: "Keine Toleranz für Korruption"

Die Häme angesichts der Ermittlungen, die von der Zeitung "Le Soir" und dem Magazin "Knack" aufgedeckt worden waren, ließ nicht lange auf sich warten. Ungarns Regierungssprecher Zoltan Kovacs schrieb auf Twitter, er freue sich auf die Tweets von Europaabgeordneten, die sich regelmäßig deutlich gegen Korruption positionierten. "Aber zu der großen Korruptionsuntersuchung, in die Europaabgeordnete verwickelt sind (...), hatten sie nichts zu sagen. Null." Das Europaparlament dringt wegen Korruptionsvorwürfen immer wieder auf ein konsequentes Vorgehen gegen Ungarn.

Der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anti-Korruption des Parlaments, Daniel Freund, zeigte sich von den Ermittlungen geschockt. "Die Vorwürfe müssen lückenlos aufgeklärt werden", sagte der Grünen-Politiker. Geld dürfe bei den Entscheidungen in Europas größtem Parlament keine Rolle spielen. Es drohe eine gewaltiger Vertrauensverlust. (APA, red, 10.12.2022)