Gerti Senger, hier in der ORF-Sendung "Erlesen", schreibt seit 35 Jahren für die "Kronen Zeitung".

Foto: ORF/ORF III/Peter Meierhofer

Nicht nur Todesfälle gab es diese Woche zu vermelden, auch schöne Jubiläen galt es zu feiern. Peter Handke 80, und viel Anbetung floss ihm zu. Aber was ist ein Jahr in der Niemandsbucht gegen 35 Jahre in der "Krone bunt"? Vor 35 Jahren schrieb sie in der "Krone" das erste Mal über Lust und Liebe, heute ist sie Österreichs bekannteste Beziehungstherapeutin. Da konnte es sich nur um keine Geringere als um Frau Professorin Dr. Gerti Senger handeln. Wenn ihr aus diesem Anlass Conny Bischofberger die Frage stellte Ist Sex so wichtig, Frau Senger, nährte das sofort den Verdacht, dreieinhalb Jahrzehnte Arbeit von Österreichs bekanntester Beziehungstherapeutin habe in der Redaktion keine Spuren hinterlassen. Aber kein Grund, alle Hoffnung fahren zu lassen.

Denn im Traumhaus in den Hügeln des Weinortes Sievering, und natürlich im stilvollen Ambiente empfängt Frau Senger Frau Bischofberger, um obige Frage ein für alle Mal zu klären. Sie trägt ein sandfarbenes Ensemble, große silberne Ohrringe und roten Lippenstift. Ehemann Iwi serviert Gespritzten in antiken Gläsern. Das Thema Sex ist ja auch nicht neu.

Alles begann mit dem G-Punkt

Schuld an allem war die einschlägige Neugier von Dichand senior, einem großen Menschenfischer, wenn ihm auch nicht jeder Fisch ins Netz gegangen ist. Und es begann alles mit dem G-Punkt. Plötzlich hat ganz Österreich den G-Punkt gesucht. Da herrschte noch wahre Vaterlandsliebe. So hieß in den Achtzigerjahren ein Kapitel in meinem Buch "Was heißt schon frigide?". Und das Unausweichliche geschah. Da hat mich Dichand senior angerufen und meinte, er würde mich gerne auf einen Kaffee treffen. Im Café Mozart bei der Staatsoper eröffnete er mir, dass er sich sehr gut eine Sexkolumne vorstellen könnte.

Frau Sengers Einwand, ich hab noch nie in meinem Leben eine Kolumne geschrieben, wischte Dichand senior mit "Das bringen S’ schon zsamm!" vom Café-Tisch. Und in der Tat, heute gehört Gerti Senger zu Österreich wie Thomas Bernhard oder Hansi Hinterseer. Keine Rede von Peter Handke. Ich glaube, dass ich Sex salonfähig gemacht habe. Auch mit einer ganz eigenen Sprache, die weder schlüpfrig noch obszön ist.

Die Leserinnen und Leser können nicht alles haben, dürfen aber hoffen. Ich bin in dieses Thema verliebt wie eine Archäologin, die immer weiter gräbt, und ich habe jetzt schon sehr tief geschürft. Sollten Paare diesbezüglich Probleme haben, weiß Frau Senger: Sex und Liebe sind ein osmotisches Gefäß. In einem solchen kommuniziert es sich gleich viel leichter. Heute Osmose, früher hat man dazu Beziehungsarbeit gesagt, weil nicht schlüpfrig.

"Wie hält man die Liebe frisch?"

Im Rahmen der "Krone bunt" bildet Frau Senger mit dem Kardinal seit langem ein osmotisches Gefäß, schürfen doch beide tief, wenn sie den G-Punkt zum Mittelpunkt ihres kolumnistischen Schaffens machen: den Glauben. Er den Glauben an ein erfülltes Leben nach dem Tode, sie dasselbe, wenn möglich vorher. Dazu gibt es für die Konsumenten des Blattes Antwort auf die alte Frage: Wie hält man die Liebe frisch? Nicht immer bringt es Osmose allein. Besser ist: Kauft zwei Zeitungen. Jeder markiert mit einem Leuchtstift Themen, die ihn interessieren und beschäftigen. Dann tauscht die Zeitungen aus und macht ein gemeinsames Programm. Falls es sich bei den zwei Zeitungen um die "Krone" und um "Heute" handelt, ist der Erfolg garantiert. Mehr Osmose geht nicht.

"Wiener Zeitung"

Keine Zeitung hat dreihundert Jahre lang weniger mediales Interesse am G-Punkt durchblicken lassen als die "Wiener Zeitung". Hat sich deshalb die Liebe der türkis-grünen Regierung zu dem Blatt nicht frisch gehalten? Die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf, der ihr Ende besiegeln soll, ist im Auslaufen, ohne dass sich an der Beziehungsarbeit zwischen der zuständigen Ministerin und Liebhabern der Meinungsvielfalt etwas zum Besseren geändert hätte.

Doch Letztere geben nicht auf. Diese Woche trat in der Grazer "Kleinen Zeitung" der Schriftsteller Janko Ferk für das Überleben der "Wiener Zeitung" ein und sprach von einem nicht wiedergutzumachenden Schaden an Qualitätsjournalismus und Literatur. Ihre Weiterführung als Monatsschrift wäre nichts anderes als ein Tod auf Raten. Und in der "Kronen Zeitung" hat der Chefredakteur persönlich im Kampf um die "Wiener Zeitung" ein ganzseitiges Interview mit deren Chefredakteur darum geführt, wie der Tod noch verhindert werden könnte.

Regierungen und Medien sind ein osmotisches Gefäß. Das sollte die Regierung warnen. (Günter Traxler, 10.12.2022)