"Kein Recht auf Ruhe": Von der eigenen partyhaft-feierlich arrangierten Grablegung nimmt einer aus der Opa-Generation gleich wieder Abstand: Martin Schwab.

Susanne Hassler-Smith

In Peter Handkes Zwiegespräch fabulieren allem Anschein nach zwei ältere Herren über ihre vergangene Zeit, über das Theater, das Schreiben – und über das Großvatertum. Es ist eines von insgesamt drei Büchern des Nobelpreisträgers, die heuer bei Suhrkamp erschienen sind, ein den Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmetes 67-Seiten-Bändchen. Mit dünnen Büchern hatte Handke bekanntlich noch nie ein Problem.

Und da sich Verwertungsketten heute schnell bewegen, feierte Zwiegespräch am Donnerstag auch schon seine Uraufführung im Akademietheater. Regisseurin Rieke Süßkow hat bei ihrem Burgtheaterdebüt ganze Arbeit geleistet und für diese schmale Gedankenflatterei ein ganzes Stück erdacht. Das war auch notwendig. Bekanntlich ringt in Handkes Texten auf weiter Flur oft und vor allem die Sprache bzw. der Sprechende mit sich selbst. Handlungsdynamiken? Fehlanzeige. Oft bahnen Monologe oder Selbstgespräche ohne Zeit- und Ortsgebundenheit den Weg der Auseinandersetzung und übergeben damit der Regie das Illustrations-Go.

Die Berlinerin Süßkow hat in Wien ihre vorläufige Theaterheimat gefunden und sich hier mit Arbeiten in der freien Szene einen Namen gemacht. Kürzlich wurde sie dafür mit einem Nestroy-Preis als Nachwuchskünstlerin ausgezeichnet. Bekannt für entschiedene ästhetische Zugriffe taucht sie auch Zwiegespräch in ein handfestes Erscheinungsbild.

Reise nach Jerusalem

Wir befinden uns in einer ganz in Sepia eingefärbten Betreuungseinrichtung, in der "gespielt" wird, wie es Handkes Figuren so oft einfordern. Das Spiel heißt allerdings "Reise nach Jerusalem", jenes Sesselkreis-Drop-out-Reihum, das man in Deutschland Stuhlpolka nennt. Pro Runde muss einer der Altersheimbewohner seinen Löffel abgeben.

Hans Dieter Knebel, Branko Samarovski und Martin Schwab als greise Herren keilen sich mit zwei Statisten um die Lebensretterplätze. Bedroht werden sie auch von einer scheinbar ewig langen, beweglich bleibenden und dabei immer deutlich knarzenden Faltwand im Hintergrund (Bühne: Mirjam Stängl), die sie immer weiter abdrängt. Vom anderen Ende dieser Wand rückt allmählich die Enkelgeneration ins Zentrum, die als Pflegepersonal im Einsatz die Beerdigungsroutine mechanisch abspult: Schrankwand auf, Urne und desinfizierte Habseligkeiten hinein, formalisiertes Tränentrocknen, Schrankwand wieder zu.

Gleich zu Beginn, alle noch da, stöckelt eine der Pflegerinnen (Maresi Riegner) mit einem Silbertablett voller Urnen über die Bühne und zieht die Blicke der Ablebenskandidaten auf sich. Man weiß nicht recht, ist ihre Person der Auslöser oder doch der Umstand ihrer makaberen "Servierkunst". Es ist einer der besten Momente dieses 110-minütigen Abends, der insgesamt ein wenig ungelenk wirkt und am Ende allzu sehr ausrinnt. Der aber ein Setting imaginiert, das zu Kiefeln gibt.

Körperjauchzer

Die Inszenierung übersetzt die Härte am Lebensende und die in Handkes Text widersprüchlich abgehandelte Wehmut in eindrückliche Bilder. So oszilliert der Schauplatz zwischen vorgeblicher Nettigkeit und Sterbensindustrie. Obendrein rückt den drei Schauspielern die Stimme der Souffleurin aufdringlich auf die Pelle. So als würden sie den Text nicht schnell genug sprechen. Damit holt Süßkow auch das Altern im Schauspielerberuf auf die Bühne. Das allerdings weiß Martin Schwab, soeben 85 geworden und einer der meistbeschäftigten Akteure am Burgtheater, mit beachtlichen Körperjauchzern auszubremsen.

Rund um ihn schlägt der Tod eiskalt zu, je nach Lust und Laune, wann das von den Pflegerinnen über Lautsprecherdurchsage gesungene La Paloma eben endet (Handke lieferte Musiktipps mit). Auch entspricht die überlange beige, ihrer Ziehharmonikabewegungen wegen wabernde und damit unverlässliche Faltwand samt den ihr zugeordneten Dekorpalmen ganz der Trostlosigkeit und Leblosigkeit, derer sich die Herren zu erwehren haben.

Säbelgeschichten

Aber nicht nur das. Die Enkel bzw. Pflegepersonen schnappen sich einen Gutteil des Textes und damit Redezeit. Auch sie haben Großväter, über die es zu berichten gilt. Da nützt Süßkow die Freiheit in Handkes Text, um mehrere Perspektiven einzubringen. Schließlich bekommen Großvaters erfundene Säbelgeschichten von der Isonzoschlacht, wenn sie Elisa Plüss schildert, eine gänzlich andere Energie. Damit hat Rieke Süßkow das Beste aus dem Text herausgeholt und Handkes luftiges Gesprächstheater vor allem in neue Inszenierungsfahrwasser gebracht. Weg von ehrerbietenden Partiturfeiern, hin zu einer konkreten Raumlandschaft, in der die Sätze neuen Widerhall finden. (Margarete Affenzeller, 10./11.12.2022)