Die Senatorin Kyrsten Sinema verlässt die Demokraten und präsentiert sich lieber als unabhängige Brückenbauerin in einem "kaputten System".

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Aus der Reihe gefallen ist sie schon länger. Kyrsten Sinema, die offen bisexuelle Senatorin aus Arizona, sticht im angestaubten US-Senat nicht nur wegen ihres schrillen Outfits und ihrer Freizeitaktivität als Triathletin hervor. Immer wieder hat sie sich gegen die Parteilinie der Demokraten gestellt und Joe Biden damit das Regieren erschwert. Am Freitagmorgen aber ließ die 46-Jährige eine echte Bombe platzen: Mit den Worten "Ich erkläre meine Unabhängigkeit von dem kaputten Parteisystem in Washington" sagte sie sich von den Demokraten los.

Der Austritt von Sinema überrascht die Partei von Biden kurz nach ihrem größten politischen Erfolg seit langem: Bei den Midterm-Wahlen hatten die Demokraten in Pennsylvania einen Senatssitz hinzugewonnen. Nachdem sie am Dienstag auch das Mandat in Georgia verteidigen konnten, kommen sie nach bisheriger Rechnung künftig auf 51 und die Republikaner auf 49 Sitze in der zweiten Kammer.

Zwar versicherte Sinema, dass sie nicht zu den Republikanern wechseln wolle. Doch ist unklar, ob sie sich wie Bernie Sanders und Angus King, die beiden anderen unabhängigen Senatoren, der Demokratenfraktion anschließen wird. Bei deren Sitzungen war sie nach Teilnehmerangaben ohnehin höchst selten anwesend. "An meinen Werten und an meinem Verhalten wird sich nichts ändern", beteuerte Sinema im Interview mit der Nachrichtenseite "Politico". Sie erwarte auch keine Verschiebungen der Struktur des Senats.

Wacklige Mehrheit

Gleichwohl wird die neue Mehrheit der Demokraten durch den Schritt deutlich wackliger. Sinema hat in der Vergangenheit unter anderem gegen Bidens Wahlgesetz und sein ursprüngliches billionenschweres Klimapaket gestimmt und diese Vorhaben damit verhindert. Sie unterstützt ein liberales Abtreibungsrecht, vertritt aber eine sehr konzernfreundliche Wirtschaftspolitik und lehnt Steuererhöhungen strikt ab. Bei einem Patt von 50 zu 50 Stimmen würde zwar – wie bislang – die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag geben. Doch es gibt mit Senator Joe Manchin auch einen Wackelkandidaten in den Reihen der Demokraten.

Noch ist es daher schwer, die konkreten Auswirkungen des Parteiaustritts abzuschätzen. "Wir haben jeden Grund, anzunehmen, dass wir weiter erfolgreich mit ihr zusammenarbeiten", beschwichtigte Karine Jean-Pierre, die Sprecherin des Weißen Hauses, eilig. Die gescheiterte trumpistische Gouverneurskandidatin von Arizona, Kari Lake, bejubelte hingegen die "großartige Nachricht". In den Leserkommentaren des führenden Regionalblatts "Arizona Republic" wurde die Senatorin als "Narzisstin", "Primadonna" und "Söldnerin" des Kapitals beschimpft.

Karriere statt Inhalte

Tatsächlich herrscht an der Demokratenbasis in Arizona seit längerem Unzufriedenheit mit der Senatorin, die sich als pragmatische politische Brückenbauerin präsentiert, aber vor allem in den sozialen Medien und bei Spendengalas aktiv ist. So könnte auch ihr jetziger Schritt eher von eigenen Karriereplanungen als von inhaltlichen Motiven geleitet sein. Mit dem linken Demokraten Ruben Gallego drohte Sinema bei den parteiinternen Vorwahlen zu ihrer erneuten Senatskandidatur 2024 nämlich ein Herausforderer. Nun müssen sich die Demokraten überlegen, ob sie mit einem eigenen Kandidaten antreten, der die linksliberalen Stimmen spalten und die Chancen des republikanischen Bewerbers erhöhen könnte.

Entsprechend selbstbewusst verkaufte Sinema ihren Parteiaustritt am Freitag gleich mit einem politischen Werbespot. Eine Zusicherung immerhin gab sie in dem "Politico"-Interview ab: "Ich bewerbe mich nicht um das Präsidentenamt." (Karl Doemens aus Washington, 9.12.2022)