Aufgrund zunehmender Konflikte bezogen 300 zusätzliche Polizisten Stellungen in den von Albanern und Bosniaken bewohnten Ortsteilen der Stadt Mitrovica.

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Prishtina – Im Norden des Westbalkan-Landes Kosovo nehmen die Spannungen zwischen den Behörden und der serbischen Minderheit erneut zu: Nach einem nächtlichen Schusswechsel am Samstag mit der Polizei blockierten serbische Demonstranten im Norden des Kosovo am Sonntag einen zweiten Tag lang die Hauptverkehrsstraßen.

Am Samstag hatten Serben im Nordkosovo Hauptstraßen in Zvecan, Zubin Potok und Leposavic aus Protest gegen die Festnahme von Dejan Pantic mit Lastkraftwagen blockiert. Pantic, ein ehemaliger kosovarischer Polizist serbischer Abstammung wurde am Grenzübergang Jarinje festgenommen. Er hatte zusammen mit anderen serbischen Polizisten seinen Dienst bei der kosovarischen Polizei quittiert. Nach Angaben des kosovarischen Innenministeriums steht er unter Verdacht, am 6. Dezember im Norden der geteilten Stadt Mitrovica einen Angriff auf kosovarische Wahlhelfer organisiert zu haben. Diese waren gekommen, um die Kommunalwahlen vorzubereiten.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zufolge sei Pantic rein zufällig in der Nähe des Lokals der Wahlkommission in Nord-Mitrovica gewesen, da sich seine Wohnung in demselben Haus befinde

Vučić fordert Rückkehr von Streitkräften

Angesichts der Spannungen verlangte Vučić die Rückkehr von bis zu 1.000 Angehörigen der serbischen Polizei und der Streitkräfte in den Nordkosovo. Die Forderung erbrachte der serbische Präsident gegenüber der Nato-Sicherheitstruppe KFOR. Dies sagte Vučić am Samstagabend bei einer Pressekonferenz in Belgrad. Er habe allerdings keine Illusion, dass die KFOR dies auch akzeptieren werde, fügte der serbische Präsident hinzu.

Vučić berief sich in seiner Forderung auf die Uno-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999, die damals den Kosovo allerdings noch als Bestandteil Serbiens behandelte. Die frühere südserbische Provinz hatte im Februar 2008 ihre Unabhängigkeit verkündet, welche Belgrad nach wie vor ablehnt. Die Uno-Resolution wurde wegen des Widerstandes Russlands im Uno-Sicherheitsrat bis dato nicht außer Kraft gesetzt.

Diplomaten forderten Wahlverschiebung

Wegen zunehmenden Zwischenfällen werden die ursprünglich für den 18. und 25. Dezember im Norden des Kosovo geplanten Kommunalwahlen auf den 23. April verschoben. Das teilte Staatspräsidentin Vjosa Osmani am Samstag nach Beratungen mit den politischen Parteien in Pristina mit.

Die Wahlen wurden notwendig, weil die serbischen Bürgermeister und Gemeindevertreter in vier Gemeinden im Nordkosovo ihre Ämter niedergelegt hatten. Damit hatten sie gegen eine inzwischen ausgesetzte Kfz-Kennzeichenverordnung der Regierung in Pristina protestiert. Mehrere westliche Diplomaten hatten zuvor zum Aufschub dieser Wahlen aufgerufen.

Osmani berief sich zudem auf Analysen der Polizei und der Geheimdienste zur Gefahrenlage. In der Nacht auf Freitag hatten serbische Militante in der Gemeinde Zvecan auf eine kosovarische Polizeistreife geschossen. Ein Polizist erlitt dabei leichte Verletzungen, das Fahrzeug der Beamten wurde schwer beschädigt.

Angriff auf Eulex

Die EU-Mission Eulex, die mit der Überwachung des Nordkosovo beauftragt ist, teilte mit, dass am Samstagabend eine Blendgranate auf eines ihrer gepanzerten Fahrzeuge geworfen worden sei. "Die EU wird keine Angriffe auf Eulex oder gewaltsame, kriminelle Handlungen im Norden dulden", warnte Borrell auf Twitter. "Barrikaden müssen sofort von Gruppen von Kosovo-Serben entfernt werden. Die Ruhe muss wiederhergestellt werden."

Kosovos Polizei verstärkte ihre Einsatzkräfte in Nord-Mitrovica. 300 zusätzliche Polizisten bezogen Stellungen in den von Albanern und Bosniaken bewohnten Ortsteilen in der ansonsten mehrheitlich serbischen Stadthälfte.

Vučić beschuldigt kosovarische Behörden

Vučić beschuldigte die kosovarischen Behörden am Samstag auch für zunehmende ethnisch motivierte Zwischenfälle nicht nur im Norden des Kosovos verantwortlich zu sein. Seit dem Jahresbeginn seien 131 solche Zwischenfälle, deren Opfer Serben gewesen seien, verbucht worden, sagte Serbiens Präsident bei seiner Pressekonferenz. Im Vorjahr habe sich ihre Zahl auf 128 belaufen.

Das kleine Balkanland Kosovo ist heute fast ausschließlich von Albanern bewohnt. In der Enklave von Nord-Mitrovica, die unmittelbar an Serbien grenzt, betreibt Belgrad eigene Machtstrukturen, die sich auf militante Aktivisten und Kriminelle stützen. (APA, red, 10.12.2022)