Sehen sich den Nachstellungen durch Putins Schergen ausgesetzt: Marina und Alexander Litwinenko (Sophie von Kessel, Daniel Jesch).

Foto: Marcella Ruiz Cruz

In Putin-Russland kann ein Geheimdienstoffizier sein Dienstverhältnis nicht einfach kündigen. Alexander Litwinenko, abtrünniger Ermittler des Inlandsgeheimdienstes FSB, wurde 2006 in seinem Londoner Exil heimtückisch vergiftet: Zwei Ex-Kameraden träufelten dem Agitator gegen Putin und Co hoch radioaktives Polonium-210 in den Tee. Litwinenko starb binnen weniger Wochen.

Lucy Prebbles Gebrauchstheaterstück Extrem teures Gift – gewiss kein Werk auf der Höhe antiker Tragödiendichtung – schildert die Ermittlungsbemühungen des unumstößlich Todgeweihten. Sichtbar gemacht wird ein schrittweiser Prozess schmerzlicher Erhellung, der nur der Evidenz dient. Stand doch die persönliche Urheberschaft Putins, des ewigen, von jeglichem Skrupel befreiten Tschekisten, von Anfang an außer Zweifel.

Im Kasino des Wiener Burgtheaters liegt Litwinenko (Daniel Jesch) im Spitalskittel aufgebahrt auf einem viel zu großen Konferenztisch. Ein Vorgriff auf jene langgetreckten Ungetüme, die Wladimir Putin später einmal zwischen sich und die restliche Welt schieben sollte. Die Stationen fortschreitender Erkenntnis werden von Blackouts gerahmt: Martin Kušej, als erstaufführender Regisseur (und Ausstatter) um äußerste Knappheit bemüht, reißt das Geschehen ruckartig ans Licht: das Theater als Richtstätte, als Produktionsort nicht eben neuer, aber beständig erneuerbarer Erkenntnisse.

Witwe Marina (Sophie von Kessel) gibt mit jedem Zoll die Königin. Dem zuständigen Juristen (Wolfram Rupperti) erteilt sie die Einwilligung zur "öffentlichen Untersuchung" des Mordanschlags. Fortan umstehen ratlose Ärzte ihren von Bauchkrämpfen geschüttelten Mann. Der sich, nachdem seine Intoxikation mit Alpha-Strahlen zweifelsfrei ermittelt worden ist, in den Dienst der Aufklärung stellt.

Es schlägt die Stunde eines freundlichen britischen Chefermittlers (Maximilian Pulst). Das Stück pflügt von nun an im Schnelldurchlauf durch Litwinenkos Karriere. Man wirft kurze Original-Blicke auf russische Satiresendungen oder erlebt wodkadurstige Geheimdienstchargen. Man schreibt das von Schnaps und Egomanie befeuerte Jahrzehnt Boris Jelzins, geprägt wird es vom Oligarchen Boris Beresowski (Johannes Terne) als König Lear mit Sturmgewehr. In solchen Szenen erhebt ein Ungeheuer namens Stadttheater sein mit Pappendeckel gekröntes Haupt.

Krude Machenschaften

Und so navigiert man etwas umstandslos durch das Leben eines aufrechten Geheimdienstoffiziers, der sich mit all den kruden Machenschaften nicht die Hände schmutzig machen will. Der das Licht der Öffentlichkeit sucht. Der vor allem mit dem kahlköpfigen Fanatiker Putin (Dietmar König) eine sehr unschöne Bekanntschaft schließt. Und schließlich, vom Terror entnervt, nach London flüchtet. Der FSB-Chef und nachmalige Präsident aber verkörpert ein hohlwangiges Gespenst, das von nun an nicht mehr von der Bühne weicht. Und ungereimtes, wahnhaftes Zeug plappert: ein Kreml-Macbeth.

Das Mördergespann, ein Duo toxischer Männlichkeitstölpel (Tim Werths, Johannes Zirner), inszeniert Kušej als eine Abordnung von Shakespare-Rüpeln. Die Auflösung des "Falles" Litwinenko wurde bekanntlich durch die Zögerlichkeit der britischen Regierung mehr als nur behindert. Eine kleine Dosis todbringenden Poloniums-210 kostet 29 Millionen Euro. Die Dussel vom Geheimdienst tropfen, nach Überwindung diverser "Hindernisse", das Gift aus dem Füller in Litwinenkos Teeschale.

Aus solchen trüben Witzchen resultiert nicht unbedingt ein weiteres Stück Erkenntnis. Außer der einen: dass der anwesenden Witwe sehr zu Recht am Andenken ihres mutigen und historisch hellsichtigen Mannes gelegen ist. In diesem Sinne trägt auch ein ästhetisch unterbelichteter Abend wie diese Erstaufführung– ursprünglich hätte Rikki Henry sie inszenieren sollen – die Fackel der Aufklärung letztendlich weiter. (Ronald Pohl, 11.12.2022)