Irgendwo gestrandet im Niemandsland zwischen Sein und Sollen: die Tanzkünstler von Georg Blaschke, dabei, sich zu erweitern.

Foto: Laurent Ziegler

Die Spezies Mensch könnte ja wirklich ein Höhepunkt der Evolution sein, wäre sie nicht ständig im Konflikt mit sich selbst. Zu ihren größten Herausforderungen gehört die Endlichkeit des Körpers: Krankheiten, Verfall und Tod. Auf unseren Unfrieden mit der leiblichen Existenz greift der Wiener Choreograf Georg Blaschke seinem neuen Stück Extinct Choreography zu. Gezeigt wird die Uraufführungsserie dieser ästhetischen Ausleuchtung im Kulturquartier Seestadt in Aspern am Ende der Linie U2.

Blaschkes Blick auf den ungelösten Widerstreit zwischen Sein und Wollen kommt nicht als Erklärungsversuch daher, sondern als anspielungsreiches Gebilde, das den künstlerischen Stärken des Tanzes entspricht. Vier junge Leute, drei junge Frauen und ein Mann, erstellen in dem weitgehend kahlen Betonraum des Kulturquartiers eine mit Sound und Licht verwobene Bewegungskomposition, die unter der Wucht einer Zerreißprobe vibriert.

Im Tanz stellt eine Gruppe von Individuen zumeist den menschlichen "Körper an sich" dar. So auch bei Extinct Choreography. Mit wenigen Objekten – eine große Tasche, zwei Seile, ein Stativ – wird auf das Genie des Körpers verwiesen, sich Erweiterungen zu schaffen und Umgebungen zu bauen. Im Tanz spürbar wird die Aggression des Homo sapiens gegen sich selbst, sein Drang, das Funktionieren und Überleben voller Todesverachtung technisch zu optimieren.

Das menschliche Ringen um den eigenen Körper ist als Autoaggression unserem Kult um die technischen Körpererweiterungen förmlich eingeschrieben. Ein Kult, der sich anmaßt, zu definieren, was "Fortschritt" zu sein hat, und dabei auf Hast und Überwältigung setzt. In diese Dynamik hetzt Blaschke seine vier Figuren. Er liefert sie damit auch der Logik unserer negativen Produktivität aus: Um Platz für Neues zu schaffen, muss aussterben, was der Expansion im Weg steht.

Wirtschaft der Auslöschung

Unter dem Druck dieser Auslöschungswirtschaft beginnt die anfangs kühl wirkende Atmosphäre in Extinct Choreography rot zu glühen. Da bietet die Tasche keinen Schutz, verbinden die Seile nichts, verliert das Stativ schnell seine Kraft. Und wer an einem der hängenden Stricke hochklettert, stößt unweigerlich an den Plafond seiner Möglichkeiten.

Genau an diesem Punkt scheinen wir gerade angekommen, und damit bei der Frage, ob die Homo-Spezies "sapiens" genug ist, um sich am eigenen Zopf aus der Misere zu ziehen. Im Tanz ist die Zeit der linearen Fortschrittsideologie längst vorbei. Auch in Georg Blaschkes Stück werden Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschränkt – als Zeichen dafür, dass "Disruption" nichts anderes ist als destruktive Machtpolitik. (Helmut Ploebst, 11.12.2022)