Die wissenschaftliche Bewertung der Wirksamkeit von politischen Maßnahmen sei auch geboten, weil es immer um die Verwendung von Steuergeld geht, sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel.

Gerhard Schmolke

Im türkis-grünen Regierungsprogramm steht explizit: Für die von Schwarz-Blau geerbten Deutschförderklassen soll es eine "laufende wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung" geben – und darauf basierend würden "allfällig notwendige Maßnahmen zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung beschlossen". Seit Oktober liegen konkrete Verbesserungsvorschläge vor, genauer: Sie liegen im Bildungsministerium. Veröffentlicht hat sie vorige Woche die Krone. Sehr zum Erstaunen von Studienleiterin Christiane Spiel. In einer Mail an Medien schrieb die Bildungspsychologin: "Mit dem Bericht in der Kronen Zeitung haben wir – das Evaluationsteam – nichts zu tun. Wir haben den Bericht nur an das BMBWF Mitte Oktober weitergegeben."

STANDARD: Was ist hinter den Kulissen abgelaufen mit dieser Studie, die noch Vorgängerminister Heinz Faßmann in Auftrag gegeben hat?

Spiel: Was im Ministerium abgelaufen ist, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen aus der Sektion während des ganzen Prozesses extrem positiv und konstruktiv war, nur irgendwann ging nicht mehr wirklich etwas weiter. Minister Martin Polaschek hat mir gesagt, dass er sehr dafür ist, dass wir in einer Pressekonferenz die Ergebnisse gemeinsam vorstellen und er sagt, was umgesetzt wird und was noch dauert.

STANDARD: Könnte es daran gelegen sein, dass die Ergebnisse "nicht gepasst" haben, also politisch nicht genehm waren? Immerhin haben Sie Veränderungsbedarf für eine Maßnahme konstatiert, die vor allem die ÖVP verteidigt.

Spiel: Die Ergebnisse üben überhaupt keine Fundamentalkritik an der Deutschförderung – weder die befragten Lehrpersonen noch wir, wie wir die Ergebnisse interpretieren. Wir machen sehr konstruktive Vorschläge für eine Weiterentwicklung. Und schließlich steht die Weiterentwicklung der Deutschförderung auf Basis der Evaluationsergebnisse ja auch im Regierungsabkommen.

STANDARD: Welche Reformen empfehlen Sie?

Spiel: Im Grunde genommen das, was auch alle befragten Gruppen empfehlen. Am wichtigsten: mehr Flexibilität, mehr Autonomie der Schulstandorte über die Deutschförderung. Es braucht individuelle Entscheidungen, denn manche Kinder brauchen die Förderung weiter, andere nicht. Sehr klar ist auch das Ergebnis zum sogenannten Mika-D-Test, mit dem die Kinder eingestuft werden. Die Lehrkräfte sind der Meinung, dass dieser Test, den wir nie gesehen haben, als Instrument nur sehr eingeschränkt funktioniert. Er prüft vor allem Grammatik, aber nicht das eigentliche Ziel, ob die Kinder dem Unterricht in deutscher Sprache folgen können. Darum sollte es zusätzlich eine Empfehlung der Lehrperson geben.

Und, eigentlich selbstverständlich, aber trotzdem ist es nicht so: In den Deutschförderklassen sollten nur Lehrkräfte unterrichten, die eine entsprechende Ausbildung haben. Wichtig wäre auch eine Vernetzung der Daten über den Verlauf der Deutschförderung mit Registerdaten. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern so gut wie kein Wissen, wie Bildungskarrieren im Längsschnitt verlaufen. In der Schweiz gibt es sehr viele Daten dazu. Da können Bildungskarrieren bis ins Erwachsenenalter verfolgt werden: Wann werden welche Bildungsentscheidungen getroffen, wie geht es Jugendlichen, die in die berufliche oder in die akademische Bildung gehen? Wie und wann ist der Einstieg in den Beruf? In Österreich haben wir dauernd Blindflug.

STANDARD: Wie soll die Politik generell angemessen mit Auftragsstudien umgehen?

Spiel: Da es um Steuergeld geht, muss die Politik Rechenschaft ablegen darüber, was sie damit macht. In der Schweiz steht seit 1999 in der Bundesverfassung: "Die Bundesversammlung sorgt dafür, dass die Maßnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden." Damit ist die Evaluation politischer Maßnahmen dort Gesetz, bei uns leider nicht.

STANDARD: Was muss danach geschehen?

Spiel: Man kann der Politik nicht vorschreiben, dass sie alle Empfehlungen umsetzen muss – und vor allem gleich. Aber sie muss sich ernsthaft mit Evaluierungsergebnissen auseinandersetzen und vor allem begründen, warum sie Maßnahmen nicht umsetzt. Sicherlich spielen auch die Rahmenbedingungen eine Rolle. Wir haben jetzt eine hohe Inflation. Es fehlen Lehrpersonen. Aber sie sollte auch begründen, warum Geld und Ressourcen in andere Bereiche investiert werden und nicht in notwendige Maßnahmen für Deutschförderung. Das Wichtigste ist jedoch Transparenz.

STANDARD: Welche Rolle spielen Auftragsstudien von Ministerien oder aus der Politik generell für Wissenschafterinnen und Wissenschafter?

Spiel: Wissenschaft beziehungsweise die Universität hat zwei zentrale Aufgaben: Forschung und Lehre. Die dritte, die unter dem Namen Third Mission läuft, ist der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie das Aufnehmen von Fragestellungen aus der Gesellschaft, und damit letztlich auch eine Mitgestaltung gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit Blick auf die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, ist das zwar keine Verpflichtung für alle Wissenschafterinnen und Wissenschafter, aber eine Verpflichtung der Wissenschaft insgesamt; schließlich werden die Unis ja von der öffentlichen Hand finanziert. Mir persönlich ist es ein Anliegen, dass wir Wissen aus der Bildungs- und Evaluationsforschung zur Verfügung stellen, damit es zu Weiterentwicklung in diesem Bereich kommt.

STANDARD: Ist die Veröffentlichung der Studien, die Sie für öffentliche Institutionen machen, Bedingung dafür, dass Sie es überhaupt machen?

Spiel: Ja, selbstverständlich, und ich wäre sehr dafür, dass das für alle öffentlich in Auftrag gegebenen Studien ein Muss wäre. Volle Transparenz ist ein ganz zentraler Punkt, damit sich Bürgerinnen und Bürger, Medien, wer immer, selbst ein Bild machen können. Ich halte Evaluation auch für demokratiepolitisch wichtig. Letztlich muss die Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, zu erfahren, was mit ihren Steuergeldern passiert und wie Maßnahmen wirken. (Lisa Nimmervoll, 12.12.2022)