Wien – Bier verbindet. An die 100 Liter des alkoholischen Gerstensaftes trinkt ein Österreicher im Schnitt im Jahr. Nur die Tschechen konsumieren mehr. Hinter den Kulissen der Branche ist von Geselligkeit allerdings keiner Spur. Seit zwei Monaten feilschen die Sozialpartner um neue Löhne und Gehälter für die 3.500 Beschäftigten der Brauereien. Fünf Verhandlungsrunden führten zu keiner Einigung. Bis zu elf Stunden am Stück wurde darum gerungen – doch die Kluft zwischen den Fronten blieb so tief wie nie zuvor.

Knapp zwei Milliarden Krügerln produzieren Österreichs Brauer jährlich. Die Bierbranche kennt hierzulande keine echten Krisen.
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Elf Prozent höhere Löhne forderten die Arbeitnehmer zu Beginn ein. Am Wochenende signalisierten sie, sich auch mit einem Plus von zehn Prozent zufriedenzugeben. Die Arbeitgeber boten anfangs 6,5 Prozent – um letztlich dann sieben Prozent mehr Lohn und Gehalt als Verhandlungsmasse auf den Tisch zu legen.

Hartes Kräftemessen

Warnstreiks quer durch die Brauereien in kleinen Dosen begleiteten das Kräftemessen landauf, landab. Für Sonntagabend kündigte die Gewerkschaft als lauten Paukenschlag einen über 24 Stunden währenden Bierausstand in der Produktion und in der Auslieferung an. Es ist hierzulande der erste größere der Brauwirtschaft seit Jahrzehnten.

Dass in der Bierhochburg Leoben-Göss Mitarbeiter auf die Barrikaden stiegen, weil die Brau-Union ihren Fuhrpark ausgliedern wollte, ist bereits mehr als 20 Jahre her. 2018 gärte es gehörig rund um die Kollektivverträge. Nach sechs Gesprächsterminen trafen sich die Sozialpartner dann aber doch wie so oft in der Mitte. Ein sechstes Mal Anlauf nahmen sie auch am Sonntag. Gewerkschafterin Bianca Reiter gab den Arbeitgebern vier Stunden Zeit für ein Entgegenkommen. Ansonsten werde ab 22 Uhr gestreikt, kündigte sie im Gespräch mit dem STANDARD an. Kurz vor 18 Uhr wurden die Gespräche nach drei Stunden abgebrochen. "Es gab keine Annäherung."

Wettlauf um Bierbänke

Reiter spricht von dicken Gewinnen in den Bilanzen der Brauer, von denen ein Stück auch für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen abfallen müsse. 2019 sei ein Spitzenjahr für die Bierindustrie gewesen. Und von der Corona-Krise habe sich diese zügig erholt, ist die Verhandlerin der Gewerkschaft Pro-Ge überzeugt.

Die Gastronomie hatte zwar geschlossen. Dafür sei viel Bier in Garagenpartys geflossen. "Es gab für die Branche keinen Grund zur Klage." Auf zwei Jahre Pandemie folgte schließlich "ein Sommer wie nie". Ein Event habe das andere gejagt, rundum seien Bierbänke für Feiern und Veranstaltungen vergriffen gewesen, erzählt Reiter. An gutem Absatz dürfe es auch diesen Winter nicht fehlen, ergänzt sie mit Blick auf gut gebuchte Skidestinationen.

Das Bild, das Florian Berger vom Bierland Österreich zeichnet, ist naturgemäß düsterer. Der Chef des Brauereiverbands berichtet von exorbitant gestiegenen Energiekosten, die für die Lebensmittelindustrie infolge auslaufender alter Verträge erst in den kommenden Monaten schlagend würden. Ob Glas, Etiketten oder Kartons – finanzielle Entspannung sieht er bisher auch in der Verpackungsindustrie nicht.

Fraglich sei zudem, wie viele Österreicher sich künftig beim Wirt noch ihr Bier leisten wollten. Wer in Wiens Gastronomie etwa ein Krügerl um weniger als fünf Euro sucht, braucht Durchhaltevermögen.

Die Corona-Krise habe Konsumenten gelehrt, dass sich ein gut gekühltes Bier auch daheim genießen lasse, zieht Berger nüchtern Bilanz. Ihr Glück im Supermarkt finden Brauer jedoch nur bedingt. Viel Spielraum hätten sie bei Preisverhandlungen mit dem Lebensmittelhandel nicht, ist sich der Verbandschef sicher.

Tauziehen um Preise

2019 wurden gut zwei Drittel des hierzulande gebrauten Biers über den Lebensmittelhandel verkauft. Gastronomen sorgten für ein Drittel des Absatzes. 2021 flossen im Zuge der Lockdowns nur noch 20 Prozent des Volumens an Lokale. Satte 80 Prozent verteilte der Einzelhandel.

Unterm Strich produzierten Österreichs Brauer im Vorjahr trotz massiver Einbußen beim Fassbier an die 9,9 Millionen Hektoliter, um drei Prozent mehr als im Jahr 2020.

In Gläsern gemessen waren dies knapp zwei Milliarden Krügerln. Nur ein Bruchteil davon ging in den internationalen Export. An Vielfalt fehlt es trotz dominanter Platzhirsche nicht. Zählte Österreich in den 80er-Jahren noch rund 60 Brauereien, sind es mittlerweile gut 320.

Für eine Annäherung im Gehaltsstreit brauche es jedenfalls zwei, betont Berger und appelliert an den Realitätssinn der Gewerkschaft. Die Arbeitgeber hätten nachgeschärft, betont er. "Eine Bewegung unserer Partner war bisher mit freiem Auge aber nicht zu erkennen."

Dass die Brauwirtschaft Mitgliedern ihres Verbandes empfahl, Löhne und Gehälter noch vor Abschluss der Verhandlungen freiwillig um 6,5 Prozent zu erhöhen, also deutlich unter der Inflationsrate von 6,9 Prozent, verhärtete die Fronten.

Blockade der Auslieferung

Welche Folge hat ein Streik der Brauereibeschäftigten? Droht Österreichern vor Weihnachten das Bier auszugehen? Die Palette der Kampfmaßnahmen reicht von der Lahmlegung der Sudhäuser bis zur Sperre der Lkw-Auslieferungen. In der Regel braucht es dann drei Tage, bis der Bierfluss zu versiegen beginnt. Wobei viele Betriebe alles andere als an der Kapazitätsgrenze arbeiten. Was punktuell verloren ist, könnte zeitverzögert aufgeholt werden.

Berger beruhigt: Weder im Handel noch beim Wirt oder bei Konsumenten werde Bier nach einem Tag Streik knapp. Reiter sieht das weniger locker: Noch seien zwar viele Lager voll. Angesichts großer Bieraktionen im Handel vor den Feiertagen müsse aber weiter reichlich gebraut werden. Und gehe es hart auf hart, werde es nicht bei einem einzigen 24-Stunden-Stillstand der Betriebe in Österreich bleiben.

Aufgeheizte Stimmung

Aufgeheizt war die Stimmung bei den Lohnverhandlungen dieses Jahr nicht nur bei den Brauern. Im Handel wurden großflächige Streiks erst in letzter Sekunde abgewendet.

Kurzzeitig im Raum standen diese auch bei der A1 Telekom. Zuvor ließen die Ordensspitäler mit Warnstreiks aufhorchen. Und erst jüngst legten die Eisenbahner österreichweit den Bahnverkehr still. (Verena Kainrath, 11.12.2022)