Ein Korruptionsskandal rund um Vizepräsidentin Eva Kaili erschüttert das EU-Parlament.

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Brüssel – Im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Korruptionsskandal um EU-Parlamentsvize Eva Kaili durchsuchten Ermittler am Montag auch Räume im EU-Parlament in Brüssel. Das teilte die belgische Staatsanwaltschaft mit. Dabei seien Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt worden. Die Computer seien demnach seit Freitag "eingefroren" worden, um zu verhindern, dass für die Ermittlung benötigte Daten verschwinden können.

Es hätten auch Razzien am Sonntag in Italien stattgefunden, hieß es. Insgesamt hat es der Staatsanwaltschaft zufolge seit Beginn der Ermittlungen bereits 20 Durchsuchungen gegeben – 19 in Büros und Wohnräumen sowie eine im Europaparlament selbst. Dabei wurden demnach 600.000 Euro am Wohnsitz eines Verdächtigen gefunden, mehrere Hunderttausend Euro in einem Koffer in einem Brüsseler Hotel sowie 150.000 Euro in der Wohnung eines EU-Abgeordneten. Der Name wurde nicht genannt.

Mittwoch Entscheidung über Untersuchungshaft

Die griechische Sozialdemokratin Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die von den belgischen Behörden seit Freitag in dem Korruptionsskandal festgenommen worden sind. Vier von ihnen kamen am Sonntag in Untersuchungshaft – darunter Informationen der Deutschen Presse-Agentur und anderer Medien zufolge auch die 44 Jahre alte Kaili selbst, ihr Freund und der ehemalige Europaabgeordnete Antonio Panzeri. Sie sollen der Staatsanwaltschaft zufolge am Mittwoch vor einer Gerichtskammer erscheinen, die über das Aufrechterhalten der Haft und das weitere Vorgehen entscheiden soll.

Die vier Verdächtigen werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt. Im Raum steht, dass das Golfemirat Katar, das derzeit die Fußballweltmeisterschaft ausrichtet, mit umfangreichen Geld- und Sachgeschenken versucht hat, Einfluss auf politische Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen. Katar wies die Vorwürfe zurück.

Griechenland friert Kailis Vermögen ein

Die griechischen Behörden haben im Zuge des Korruptionsskandals im Europaparlament am Montag sämtliche Vermögenswerte Eva Kailis eingefroren. Betroffen seien "Bankkonten, Schließfächer, Firmen und alle anderen Vermögenswerte", teilte der Leiter der griechischen Anti-Geldwäsche-Behörde, Haralambos Vourliotis, am Montag mit. Die Maßnahme gelte auch für Kailis Angehörige.

VIDEO: In der Korruptionsaffäre im EU-Parlament sind die griechische Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili und drei weitere Verdächtige am Sonntag in Untersuchungshaft genommen worden.
DER STANDARD

Das EU-Parlament kam am Montag in Straßburg zur ersten Plenarsitzung seit Bekanntwerden des Korruptionsskandals zusammen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola lud die Fraktionsvorsitzenden für den Nachmittag zu einem informellen Treffen ein, bei dem es nach AFP-Informationen "um Kailis Absetzung und weitere Schritte" gehen soll. Zu Beginn des Treffens fand Metsola deutliche Worte: ""Das Europäische Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird angegriffen, die europäische Demokratie wird angegriffen, und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften wird angegriffen." Gleichzeitig betonte sie, nichts werde unter den Teppich gekehrt werden. Die momentane Situation sei ein "Test für unsere Werte und unser System". Man wolle eine "interne Untersuchung" einleiten.

Bereits am Samstag hatte Metsola Kaili von allen Befugnissen, Pflichten und Aufgaben als eine ihrer 14 Stellvertreterinnen und Stellvertreter suspendiert. Ob die Griechin aber offiziell als Vizepräsidentin des EU-Parlaments abgesetzt wird, ist Sache der Abgeordneten – und dort ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Für Dienstag wurde ein Treffen der sogenannten Konferenz der Präsidenten angesetzt – das sind neben Metsola die Vorsitzenden der Fraktionen. Sie sollen das Verfahren zur Absetzung der ehemaligen Fernsehmoderatorin Kaili als Parlamentsvize einleiten. Noch am Dienstag könnte dann das Plenum darüber abstimmen.

Forderung nach Konsequenzen

Diese gilt freilich als Formsache. Quer durch die Fraktionen werden indes die Rufe nach Aufklärung und harten Konsequenzen immer lauter. Die deutsche EU-Vizepräsidentin Katarina Barley, als Sozialdemokratin eine Parteifreundin Kailis, sagte der Agentur Reuters, die "sozialdemokratische EP-Fraktion hat sie bereits suspendiert und wird auch ihre Abwahl als Parlamentsvizepräsidentin beantragen".

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sagte am Montag vor einem Treffen der EU-Außenministerinnen und -Außenminister, dass die Nachrichten "natürlich sehr besorgniserregend" seien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug am Montag vor der Presse die Bildung eines Ethikrats zur Überwachung von EU-Institutionen vor.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, auch er gehört der SPE an, sagte dem italienischen Fernsehsender Rai 3, dass der Fall "sehr ernst" zu sein scheine. "Wenn sich bestätigen sollte, dass jemand Geld genommen hat, um die Meinung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen, wäre das wirklich eine der dramatischsten Korruptionsgeschichten der letzten Jahre." Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary, forderte am Montag Aufklärung durch die europäischen Sozialisten: "Sind noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter beteiligt? Wer hatte möglicherweise Kenntnis?"

Schallenberg zeigt sich abwartend

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hat sich angesichts des Korruptionsskandals abwartend gezeigt. "Das wäre ein veritabler Skandal, wenn sich das bewahrheiten sollte", sagte Schallenberg am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel. "Aber wir sind Rechtsstaaten, wir sollten jetzt die Justiz arbeiten lassen, möglichst schnell hier für Aufklärung sorgen", fügte er hinzu. Ähnlich äußerte sich seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock. "Das ist wirklich ein unglaublicher Vorfall. Der muss jetzt ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden mit der vollen Härte des Gesetzes", sagte Baerbock am Montag in Brüssel laut Deutscher Presse-Agentur.

Der belgische Europaabgeordnete Marc Tarabella muss sich im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal vor einem Gremium seiner Partei, den belgischen Sozialisten, verantworten. Der Abgeordnete werde in den kommenden Tagen angehört, wie die Partei am Sonntag via Twitter mitteilte. Am Samstag hatten Ermittlerinnen und Ermittler Tarabellas Haus durchsucht, der Politiker bestreitet die Korruptionsvorwürfe.

Kaili schon länger im Visier der Behörden

Als Bestätigung, dass die Beweislage gegen Kaili bei der Justiz in Belgien sehr dicht sein muss, werden im EU-Parlament die Umstände ihrer Festnahme gewertet. An sich hat die Vizepräsidentin so wie alle EU-Abgeordneten im Gastland Immunitätsstatus. Behörden müssten also um Auslieferung ansuchen, wenn sie Ermittlungen oder eine Hausdurchsuchung gegen Mandatare durchführen. Dann beschäftigt sich der Rechtsausschuss des EP mit der Sache, was aber nicht geschehen ist.

Kaili und die anderen Verdächtigen standen offenbar schon lange im Visier der Korruptionsfahnder und wurden im Zuge einer umfangreich koordinierten Abhör- und Festnahmeaktion aufgedeckt. Das Vorgehen wird von den Behörden als "Gefahr im Verzug" gewertet. Da es laut Staatsanwaltschaft um die Verfolgung einer "kriminellen Vereinigung", ging, hatten die Ermittler offenbar genug Spielraum, sie keine Immunität.

Visaliberalisierung für Katar in der Schwebe

Da sich die Hauptverdächtige Kaili vor allem lobend über Katar geäußert hatte, könnte laut belgischen Medien der Golfstaat, in dem derzeit die Fußballweltmeisterschaft stattfindet, hinter den Korruptionsvorwürfen stecken. Dessen Außenministerium wies dies allerdings scharf zurück. "Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert." Katar operiere nach den gültigen internationalen Gesetzen und Regeln.

Dennoch könnte der Vorfall Auswirkungen auf das Land haben. Denn der Innenausschuss des Parlaments hatte sich für eine Visaliberalisierung für Katar ausgesprochen. Nun gibt es aber Kritik daran. "Wenn das EP möglicherweise mit Geld von Kräften aus dem Ausland beeinflusst wurde, muss man das Verfahren im Parlament erst einmal stoppen", forderte der deutsche Unionseuropaabgeordnete Daniel Caspary. "In dieser Situation kann es natürlich keine Visaliberalisierung für Katar geben", schrieb Grünen-EP-Abgeordneter Erik Marquardt am Samstag auf Twitter. "Die geplante Abstimmung darüber wird entweder in den Innenausschuss zurücküberwiesen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen, oder wir stimmen als Parlament gegen die Visaliberalisierung."

Orbán mit Schadenfreude

Ungarns Premier Viktor Orbán nutzte indessen die Affäre für einen Seitenhieb in Richtung Union. Auf Twitter teilte Orbán, gegen dessen Regierung in Brüssel seit Jahren schwerste Korruptionsvorwürfe erhoben werden, ein Meme: Zu sehen ist eine laut lachende Männerrunde, der unter anderem der frühere US-Präsident Ronald Reagan und Vize George Bush angehören. Zu dem Bild schrieb Orbán: "Und dann sagten sie, das Europaparlament sei ernsthaft besorgt über die Korruption in Ungarn. Guten Morgen ans Europaparlament." (red, tom, Reuters, APA, 12.12.2022)