Ein unbescholtener Wiener hat zwar vom deutschen Vernichtungslager Auschwitz "schon gehört", will aber nicht wissen, welcher Zusammenhang mit den Totenkopfverbänden der SS besteht.

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Wien – Daniel C. gibt sich vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Stefan Apostol als Schöngeist mit etwas unterdrückter Impulskontrolle. Er tendiert nämlich seiner Darstellung nach nicht nur dazu, auf Facebook das CD-Cover der extremistischen Rechtsrockband Landser zu posten, da es ihm gefallen hat. Nein, der unbescholtene 37-Jährige hat auch Bilder seiner Tätowierungen veröffentlicht, die er sich laut Anklage "aus ästhetischen Gründen" stechen ließ: auf beiden Schultern das Symbol der SS-Totenkopfverbände, ein Schädel über gekreuzten Knochen, sowie quer über die Brust das Wort "Ostfront".

Von 2016 bis 2020 soll der arbeitslose Wiener mit solchen Aktionen gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen haben, wirft ihm die Staatsanwältin vor. Dazu bekennt sich der von Florian Horak verteidigte vierfache Vater grundsätzlich auch schuldig, versucht aber zunächst, sich auf seine geschichtliche Ignoranz herauszureden.

Nationalsozialistisches Kragenspiegelsymbol

Zu den Totenkopf-Tattoos sagt er beispielsweise, er habe das von den Wachmannschaften in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie später der 3. Waffen-SS-Panzerdivision "Totenkopf" verwendete Kragenspiegelsymbol auf dem T-Shirt eines Freundes gesehen. "Es hat mir gefallen", hält der Angeklagte fest, daher habe er es sich von einem Freund stechen lassen.

Bezüglich des "Ostfront"-Schriftzuges entspinnt sich zwischen C. und dem Vorsitzendem ein kurzer Dialog. "Sie wissen, was die Ostfront war?", beginnt Apostol. "Nicht wirklich." – "Wo war die Ostfront?" – Zu seinem eigenen Glück stellt C. nicht die Gegenfrage: "Im Osten?", sondern schweigt. – "Sie lassen sich ein Wort auf die Brust tätowieren, von dem Sie nicht wissen, was es heißt?" – "Ja, aus Blödheit."

"Viel Alkohol" und "falsche Freunde"

Er habe damals "viel Alkohol" getrunken und "viele falsche Freunde" gehabt, entschuldigt der Angeklagte sich. Wie sich herausstellt, ging es konkret um zwei Männer, die er über seine Schwester kennengelernt habe. Peter S. ist einer davon. "War das ein Nazi?", will Apostol wissen. "Also nach außen hin nicht", windet C. sich. "Nazi ist man meistens innen", stellt der Vorsitzende fest. Der 37-Jährige gibt zu, dass S. in diese Richtung tendiert habe. Daher habe er ihm und einem zweiten auch Nachrichten geschickt, in denen der Buchstabe "S" durch die Sigrune ersetzt war, um "dazuzugehören", sodass bei der Schlussformel "Gruß" auf "Gru" das SS-Symbol folgte.

Andere einschlägige Bilder und Filmchen, die auf seinem im Dezember 2019 vom Verfassungsschutz sichergestellten Mobiltelefon gefunden wurden, will C. nicht verschickt, sondern nur bekommen haben. "Ich krieg so was nicht geschickt. Warum kriegen Sie dauernd Nazi-Bilder?", erkundigt der Vorsitzende sich, erhält aber keine Antwort.

Angeklagter gibt sich unwissend

Apostol kehrt nochmals zum Hintergrundwissen des angeklagten Pflichtschulabsolventen zurück und fragt C. über seinen Kenntnisstand zur Nazi-Diktatur. "Ich weiß, dass es ein schlimmer Krieg war und es viele Tote gab", bleibt der Angeklagte vage. "Sie sind Jahrgang 84. Und sie wollen nie etwas über den Holocaust gelernt haben? Ihnen fällt nur 'schlimmer Krieg' ein?", fragt der Vorsitzende ungläubig. "In der Schule haben wir das nicht durchgemacht", entschuldigt der Angeklagte sich. "Gute Schule", meint Apostol sarkastisch.

Ob C. wisse, was die SS beziehungsweise die Totenkopfverbände in der Nazi-Diktatur gemacht hätten, will der Vorsitzende weiter wissen. Der Angeklagte verneint. "Die haben zum Beispiel die Konzentrationslager betrieben und dort Menschen ausgebeutet und getötet. Auschwitz, noch nie gehört?" – "Gehört schon." – "Und Sie haben nicht gewusst, dass das von der SS betrieben wurde?" – "Damals nicht."

Verräterische Nachrichten

Dass C. aber nicht so unwissend sein kann, wie er tut, decouvriert Apostol mit seinem nächsten Vorhalt. Er zitiert nämlich aus einer Nachricht des Angeklagten an einen Bekannten. "Ich hatte mit meiner Freundin einen Disput, blablabla, sie sagte, ich soll ein bissl weniger Nazi sein." Als der Bekannte ihn nach seiner Reaktion fragte, antwortete C., was er seiner Partnerin beschied: "Sei froh, dass ich grad keine Uniform trage, sonst wärst schon am vorgeheizten Griller", schrieb der 37-Jährige damals. Seine Lebensgefährtin habe sich nur über seine Tätowierungen beschwert, weicht C. vor Gericht wieder aus. "Nicht auch über das, was Sie gepostet haben?", interessiert den Vorsitzenden. "Nein", antwortet der Angeklagte.

Nachdem der Verfassungsschutz bei ihm aufgetaucht war, habe er sich aber aus diesem Bekanntenkreis zurückgezogen, beteuert C., dessen Verteidiger dem Gericht auch Farbbilder vorlegt, die belegen, dass die inkriminierten Tattoos mittlerweile durch neue unkenntlich gemacht wurden. "Ich habe mich von dem ganzen Drecksgut entfernt", gibt der Angeklagte sich reuig.

Teilbedingte Haftstrafe

Die Laienrichterinnen und -richter sprechen ihn schließlich in sieben von elf Anklagepunkten schuldig, C. wird rechtskräftig zu 18 Monaten Haft, eines davon unbedingt, verurteilt. "Tattoos sind qualitativ etwas anderes", begründet der Vorsitzende das Strafmaß. "Wenn man sich entschließt, seinen Körper zu entstellen, ist man tiefer in der Ideologie", glaubt Apostol nicht an die Ahnungslosigkeit des Angeklagten. Ein als Milderungsgrund nötiges reumütiges Geständnis kann er nicht erkennen.

Es sei "keine Kleinigkeit, so eine Ideologie nach außen zu tragen", sieht er aus generalpräventiven Gründen Bedarf für zumindest einen kurzen unbedingten Teil, schließlich waren neben Journalistinnen auch Schülerinnen und Schüler einer Klasse des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums bei der Verhandlung im Großen Schwurgerichtssaal dabei. (Michael Möseneder, 12.12.2022)