"Frauen hinterm Herd sind zu Hause normal. Aber sobald die Arbeit bezahlt wird, machen das nur mehr Männer", findet Parvin Razavi. Ihren Erfolg schreibt sie strenger Arbeitsmoral und ihrer "dicken Haut" zu.
Foto: Julia Rotter

Parvin Razavi atmet lange aus. Es hört sich schwer an. "Anerkennung", fasst sie dann zusammen, was die Auszeichnung als Newcomerin des Jahres von Gault-Millau für sie bedeutet. "Eine Art Belohnung für all die Jahre, in denen man hart gearbeitet hat", fügt die Köchin hinzu. Heuer im Frühjahr eröffnete das Restaurant &Flora in Wien, mit Parvin Razavi als Küchenchefin. Hinter dem Museumsquartier, versteckt im Hotel Gilbert, kocht sie auf. Drei Hauben hat die 44-Jährige zur Sonderehrung obendrauf bekommen.

Sie kocht japanisch, orientalisch, libanesisch, auch mit österreichischem Einschlag. Als Fusionküche will sie ihre Küche nicht unbedingt bezeichnen, weil ihr der Begriff nicht gefällt, aber er beschreibt Razavis Stil am besten. In ihrem Lokal serviert sie viel Gemüse, doch auch Speisen mit Fisch und Fleisch. Ein Fokus ihrer Karte liegt auf Sharing-Plates, also Gerichten, die man sich am Tisch teilt. Da wird Mangalitzaschulter mit Szechuanpfeffer, Miso-Sellerie mit geräucherter Melanzanicreme oder Melonenrettich im Sake-Dressing aufgetischt.

Ganz ohne Tradition

"Was kann ich an Geschmack in eine Rote Rübe packen?" Diese Frage will sie mit dem RONDO-Weihnachtsmenü beantworten. Das Knollengemüse hüllt sie in einen Salzmantel, verfeinert mit einer Safrancreme als Referenz an den Iran, ihre Heimat. Zuvor tischt sie eine klare Pilz-Consommé mit einer Quitten-Wantan auf, die an Umami kaum zu übertreffen sei, sagt sie. Das Obst begleitet die Suppe mit einer winterlichen Süße. Als Hauptgang wollte sie etwas Klassisches servieren, das ein wenig oldschool klingt: Beef Wellington. In der Razavi’schen Version allerdings mit Sellerie statt mit Rind. Mit Berberitzen und einer an Powidl erinnernden Pflaumensauce kombiniert sie Persisches mit Österreichischem. Das Menü sei nicht nur eine "schöne Zusammenfassung" ihres Kochstils, sondern auch eine Hommage an Wien, die Stadt, in der sie schon lange lebt. Das Dessert, eine Sauerrahmcreme mit Pistazien und Maulbeeren, hat sie ganz energiesparend als No-Bake-Nachspeise geschaffen.

Gemüse in der Hauptrolle, Fleisch als Statist

Erst wenn jeder Teller schön ausschaut, ist Parvin Razavi mit ihrem Gericht zufrieden.
Foto: Julia Rotter

Ihr Weihnachtsmenü ist eines ohne bestimmte Tradition. "Ich habe als Kind nie Weihnachten gefeiert, und ich und meine Familie haben heute auch kein bestimmtes Weihnachtsessen. Die einen essen Sauerkraut und Würstel, die anderen Fondue, bei anderen gibt es Truthahn." Herzhaft, festlich und "mit einem Twist" sollte das RONDO-Weihnachtsmenü aber schon sein und sie als Person widerspiegeln. Das zeigt sich deutlich im gänzlichen Verzicht auf Fleisch. "Ich esse gerne Gemüse und sehe darin die Zukunft", sagt Razavi. Gemüse spielt in ihrer Küche die Hauptrolle, Fleisch ist ein Statist.

Schon als Kind habe Razavi kaum Fleisch gegessen, schwierig in einer sehr fleischlastigen Küche wie der persischen. Sie ernährte sich dann eben von Sauce und Reis. Letzterer, von ihrer Mama zubereitet, gehört zu Razavis Comfortfood, und diesen kocht sie immer wieder einmal für ihre Töchter. Mit acht kam Razavi als politischer Flüchtling nach Österreich. Die derzeit anhaltenden Proteste im Iran verfolge sie mit viel Wut, Ohnmacht und Rachegefühlen. "Dass eine Regierung gegen die eigene Bevölkerung kämpft, ist bösartig. Wenn man liest, was sie mit den Menschen machen, teilweise mit Kindern im Alter meiner Töchter, das raubt einem die Luft."

Vom Blog in die Gastronomie

Razavis Kochkarriere startete mit dem Foodblog "thx4cooking". Diesen lancierte sie 2012, in jener Zeit, als sie sich hauptsächlich um ihre zwei kleinen Töchter kümmerte. Irgendwann konnte sich Razavi aber nicht mehr mit der Foodblog-Szene identifizieren. Lifestyle-Influencer gruben der Foodbloggerin das Wasser ab, das Essen stand für diese nicht im Mittelpunkt, nur deren Inszenierung. "Da sitzt du einfach bei einem Food-Event mit einer Schminktante am Tisch und denkst dir: Das ist nicht meine Welt. Ich will ja kochen, und das ist mein Inhalt." Sie veröffentlichte Kochbücher und trat in verschiedenen Kochshows auf.

Nach der Trennung von ihrem Mann musste Razavi finanziell auf eigenen Beinen stehen. Die in Teheran Geborene fand durch Bekannte eine Stelle in der Küche des Künstlerhauses. "Es war ein irrsinniger Sprung ins kalte Wasser." Nach drei Jahren veranlasste sie ihr Drang nach kreativer Freiheit zum Gehen. Nach dem zweiten Lockdown wechselte sie in das Lokal Dogenhof, den Blog hatte sie schon längst eingestampft. Dass sie heute noch als ehemalige Foodbloggerin bezeichnet wird, ist für sie kein Problem: "Es gibt auch Künstler, die nie eine Kunsthochschule besucht haben und trotzdem tolle Kunst machen."

Razavi in ihrer Küche im &Flora.
Foto: Julia Rotter

So frei wie noch nie

Von der Foodbloggerin zur preisgekrönten Köchin in wenigen Jahren, und das als alleinerziehende Mutter, dies schreibt sie ihrer strengen Arbeitsmoral zu. Als Frau in der Spitzengastronomie haderte sie häufig im männerdominierten Umfeld: "Da ist männlicher Humor an der Tagesordnung, und das sind Witze auf Kosten anderer. Als einzige Frau in der Küche muss man eine dicke Haut haben." Speziell junge Frauen seien häufig nicht dafür gemacht, diese toxischen Dynamiken durchzuhalten und da auch durchzubeißen. Für das &Flora war es der Köchin deshalb wichtig, ein stark weibliches Team aufzustellen. "Rein egoistisch" sei diese Entscheidung gewesen, sagt Razavi. Denn nur in diesem Umfeld könne sie frei arbeiten.

Außerdem sieht sie es als Zeichen: "Frauen hinterm Herd sind zu Hause normal. Aber sobald die Arbeit bezahlt wird, machen das nur mehr Männer." Die Probleme, und das weiß sie, sind hausgemacht und beschränken sich nicht nur auf die Gastronomie: Frauen bekommen irgendwann Kinder, werden aus dem Job gedrängt, die eingeschränkten Zeiten der Kinderbetreuung erschweren den Wiedereinstieg, und von der Gesellschaft werden arbeitende Frauen sowieso stigmatisiert, zählt Parvin die Ursachen auf. Als moderne Gesellschaft brauche es dafür moderne Ansätze, die dem entgegenwirkten.

Aber die Mühlen mahlen langsam, in der Bevölkerung und in der Gastronomie. Dass sie als migrantische Frau drei Hauben verliehen bekommen hat und zur Newcomerin des Jahres gewählt wurde, ist da ein bedeutender Schritt. Parvin Razavi hofft, dass sie eine Vorbildfunktion für junge Frauen mit einer ähnlichen Herkunft, einer ähnlichen Geschichte wie ihre einnimmt.

Quitten-Wantan in Pilz-Consommé

Quitten-Wantan in Pilz-Consommé.
Foto: Julia Rotter

ZUTATEN für 4 Personen

Quitten-Wantan

3 Stück Quitte
1 Schalotte
1 cm Ingwer, fein gewürfelt
1 EL Quittenessig oder alternativ Apfelessig
Saft einer Zitrone für Zitronenwasser
Wantan-Teig
Frischer Kerbel

Pilz-Consommé
1 Kilo Wurzelgemüse (Karotte / Zeller / Gelbe Rübe)
3 Stück Schalotten (ca. 300 g)
1 kleiner Fenchel
50 g Steinpilze, getrocknet
50 g Shiitake, getrocknet
200 g Champignons, frisch
2 Zweige Thymian
1 Zweig Rosmarin
3 Lorbeerblätter
10 Körner Schwarzer Pfeffer
250 ml Weißwein
100 ml Portwein rot


ZUBEREITUNG

Quitten-Wantan

Quitten würfeln und sofort in ein vorbereitetes Zitronenwasser legen. Zwiebel und Ingwer in etwas Öl anschwitzen, Quittenwürfel zufügen. Mit Apfelessig ablöschen. Bei geringer Temperatur alles weichkochen und anschließend sehr gut pürieren. Masse kalt werden lassen und in einen Spritzbeutel umfüllen.

Wantan mit Quittenmus füllen und die Ecken so zusammendrücken, sodass der Wantan eine quadratische bzw. eckige Form bekommt. Wantan in einem dafür geeigneten Dampfeinsatz dämpfen.

Mittig im angewärmten Suppenteller platzieren und mit Kerbel dekorieren. Pilzsuppe um die Teigtasche gießen.

Pilz-Consommé

Getrocknete Pilze mit 1 Liter kochendem Wasser aufgießen und mindestens 1 Stunde ziehen lassen. Wurzelgemüse in einem Schmortopf oder Suppentopf anrösten. Champignons, Kräuter und Pfeffer zufügen und 2 Minuten weiterrösten. Mit Weißwein und Portwein ablöschen.

750 ml Wasser zufügen, eingeweichte Pilze und das Pilzwasser dazugeben. Langsam aufkochen lassen. 1,5 Stunden bei geringer Temperatur leicht köcheln lassen. Suppe abseihen und anschließend durch ein Passiertuch lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.


Rote Rübe im Salzmantel und Belugalinsen auf Safran-Hollandaise

Rote Rübe im Salzmantel und Belugalinsen auf Safran-Hollandaise.
Foto: Julia Rotter

ZUTATEN für 4 Personen

Rote Rübe im Salzmantel

250 g Mehl
250 g grobes Kristallsalz
60 g Wasser
2 Eier
2 Stück Chioggia und 2 Stück Rote Rüben

Belugalinsen

200 g Belugalinsen
1 Schalotte
1 Stk. Zimtstange
1 Stk. Sternanis
2 Stk. Lorbeerblätter
Weißwein Salz und Pfeffer

Safran-Hollandaise

95 g (pasteurisiertes) Eigelb
225 g geschmolzene Butter
0,5 g Safran
100 ml Safran-Weißwein-Reduktion*


ZUBEREITUNG

Rote Rübe im Salzmantel

Rüben gut waschen.

Mehl, Salz, Ei händisch oder in der Küchenmaschine zu einem Teig verarbeiten. Teig etwa 0,5 cm dick ausrollen und die Rüben darin verpacken. Bei 180 °C Heißluft etwa 90 Minuten backen.

Aufbrechen und Rüben vorsichtig schälen und in gleichmäßige Spalten schneiden.

Belugalinsen

Schalotte schälen und gemeinsam mit Gewürzen und Linsen in einen Topf geben. 1:1 mit Weißwein aufgießen. Auf geringer Hitze köcheln lassen.

Nach 10 Minuten Kochzeit die Linsen salzen, so lange mit Weißwein aufgießen, bis die Linsen bissfest gegart sind. Im Topf auskühlen lassen.

Safran-Hollandaise

Safran in einem Mörser mit einem halben Zuckerwürfel zu einem feinen Pulver zermahlen und in der Weißweinreduktion auflösen. *Dafür 200 ml Weißwein, 1 Schalotte, 1 Lorbeerblatt, 5 Pfefferkörner langsam aufkochen und auf 100 ml reduzieren, abseihen und Safran darin auflösen, beiseitestellen.

Eigelb mit Safran-Weißwein-Reduktion über einem Wasserbad schaumig rühren. Butter – Achtung, nicht zu heiß verwenden! – langsam dazugeben und weiterrühren, bis eine leicht dicke und sämige Konsistenz erreicht wird.Warm, aber nicht zu heiß in eine Isi-Flasche füllen und warmhalten.

Alternativ im Thermomix: Eigelb und Weißwein auf Stufe 3 und 75 °C schaumig rühren. Langsam geschmolzene Butter zufügen, bis die Flüssigkeit emulgiert. In eine Isi-Flasche umfüllen und warm halten.

Tipp fürs Anrichten: Hollandaise länglich und mittig auf den Teller spritzen. Rübenspalten auf der Hollandaise platzieren und 2 EL Linsen dazugeben.


Sellerie im Teigmantel mit Duxelles auf Pflaumensauce mit Radicchio

Sellerie im Teigmantel mit Duxelles auf Pflaumensauce.
Foto: Julia Rotter

ZUTATEN für 4 Personen

Sellerie im Teigmantel mit Duxelles & Radicchio

4 Stück tennisballgroße Sellerieknollen mit Selleriegrün
1 Stück Radicchio
5 EL Berberitzen
1 Blätterteigrolle
1 Ei, verschlagen
750 g Champignons
5 Stück Kräuterseitlinge
2 Schalotten
2 Zweige Thymian
Außerdem: Backpapier, 50 g grobes Meersalz

Pflaumensauce

500 g Pflaumen oder TK-Zwetschken
2 Schalotten
3 Lorbeerblätter
3 cm Ingwer
1 Zimtstange
1 Sternanis
50 ml Portwein rot
100 ml Rotwein


ZUBEREITUNG

Sellerie im Teigmantel mit Duxelles & Radicchio

Für die Duxelles Öl in einem flachen Topf erhitzen und fein gewürfelte Schalotten darin glasig anschwitzen. Sehr fein gehackte Pilze zufügen und so lange anrösten, bis die ganze Flüssigkeit verdunstet ist. Thymianblätter vom Zweig entfernen und in die Pilzfarce geben, gut mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Sellerieknolle säubern und waschen. Darauf achten, dass alle Härchen sowie Unreinheiten entfernt werden. Selleriegrün grob zerkleinern, auf einem Backblech auslegen und mit grobem Meersalz üppig bestreuen. 50 ml Wasser dazugeben und die Sellerieknollen auf dem Backblech auf dem Selleriegrün platzieren. Backpapier mit den Händen zusammenknüllen, unter einem Wasserstrahl gut befeuchten und die Knollen damit gänzlich bedecken. Bei 180 °C Heißluft etwa 40 Minuten backen. Sellerieknollen zugedeckt in der Backform auskühlen lassen.

Blätterteig in Quadrate schneiden und jeweils mit etwa 3–4 EL Duxelles bestreichen. Sellerie darauf platzieren, die Ecken nach oben verschlagen und verschließen – eventuell überschüssige Teigecken abschneiden. Mit der eingeschlagenen Seite nach unten auf einem mit Backpapier ausgelegten Backblech platzieren und mit Ei bestreichen. Bei 180–200 °C (je nach Ofenstärke) 20 Minuten backen. Temperatur auf 130 °C drosseln und weitere 10 Minuten backen.

Für die Berberitzen 1 EL Butter mit 1/2 TL Zucker in einer Pfanne erhitzen und die Berberitzen bei sehr geringer Temperatur 2 Minuten anschwitzen. Beiseitestellen.

Radicchio in Spalten schneiden und ebenfalls mit etwas Öl in einer Pfanne von allen Seiten anbraten, mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Pflaumensauce

Zwiebel und Ingwer in einem Topf glasig anschwitzen. Zwetschken und Gewürze zufügen. Alles kurz anbraten und mit Port- und Rotwein ablöschen. Bei geringer Hitze zugedeckt circa 30 Minuten köcheln lassen. Immer wieder umrühren, damit sich nichts anlegt. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Im Thermomix oder mit einem Stabmixer die Masse glatt pürieren. Gegebenenfalls zusätzlich noch durch ein feines Sieb drücken, damit die Sauce schön sämig und glatt wird. Die Pflaumensauce ist eher dick und sollte auf dem Teller nicht fließen.

Tipp fürs Anrichten: Sellerieknollen im Blätterteig mit einem Brotmesser vorsichtig halbieren und mittig auf dem Teller anrichten. 2 bis 3 EL Pflaumensauce direkt an der Schnittfläche der Knolle verteilen, die Radicchiospalte darauf platzieren und mit etwa 1 EL Berberitzen dekorieren.


Sauerrahm-Creme

Sauerrahm-Creme.
Foto: julia rotter

ZUTATEN für 4 Personen

500 g Sauerrahm
70 g Zucker
1 TL Rosenwasser
50 g Pistazien, geschält, geröstet und grob gehackt
5 EL getrocknete Maulbeeren
5 EL Granatapfelkerne
3 EL Granatapfelmelasse (gibt es im Orient-Fachhandel)

ZUBEREITUNG

Sauerrahm mit Zucker und Rosenwasser in der Küchenmaschine aufschlagen.

Jede Portion mit Pistazien, Granatapfel und Maulbeeren bestreuen. Mit einem Löffel die Melasse vorsichtig über die Nachspeise laufen lassen.

(RONDO, Kevin Recher, 15.12.2022)