Die Leitung einer Schule ist mittlerweile so unattraktiv, dass sich oft, wenn überhaupt, nur noch eine Person dafür bewirbt.

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In einem ist sich Joachim Reimitz so sicher wie am Anfang seiner Berufslaufbahn: Die Schule ist genau der Ort, an dem er arbeiten will. Kindern und Jugendlichen etwas vermitteln und "ihnen beistehen, ein Mensch zu werden" – so beschreibt er sein pädagogisches Ethos. Genau das will er tun. Aber anders als zuletzt: "Ich werde wieder Lehrer", erzählt der 61-Jährige, der bis zum Ende des vergangenen Schuljahres noch Direktor des Gymnasiums Werndlpark in Steyr in Oberösterreich war.

Oft nur eine einzige Bewerbung

Das ist ungewöhnlich, und genau deswegen lässt sich an ihm exemplarisch darstellen, warum es in Österreich immer öfter passiert, dass sich für einen Direktionsposten nur wenige Interessierte bewerben oder überhaupt niemand will. Laut Bildungsministerium stehen aktuell 123 Bundesschulen (50 AHS, 73 BMHS) unter provisorischer Leitung. Und die Suche nach Lehrpersonal, das eine Schule leiten möchte, wird immer schwieriger: "In Ballungszentren gibt es durchaus oft sechs oder sieben Bewerber:innen für einen Posten", hieß es auf STANDARD-Anfrage, "im ländlichen Raum hingegen häufig weniger, teilweise auch Einzelbewerbungen." Was ist da los?

"Tonnenweises Kopieren" und zu wenig Handlungsspielraum

Anfang April des Jahres ging ein Hilfeschrei einer Gruppe von Schulleiterinnen und Schulleitern sowie Fachleuten aus der Bildungsforschung und schulischen Administration an Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). Sie beklagten etwa die Überfrachtung mit zeitraubenden Verwaltungstätigkeiten wie Listen ausfüllen oder "tonnenweises Kopieren" und allgemein zu wenig Handlungsspielraum.

Ein zeitlich suboptimaler Zufall wollte, dass just zu diesem Zeitpunkt der Minister den Direktoren (und Administratoren) einen 500-Euro-Bonus für ihren "außergewöhnlichen Einsatz" in der Pandemie in Aussicht stellte.

AHS-Leiter Reimitz bedankte sich damals im Ministerbüro zwar für die "Anerkennung", deponierte aber ausdrücklich, dass ihm und seinen Kolleginnen in den Direktionen mit ganz anderen Dingen wirklich geholfen wäre. Nachfrage bei Reimitz: Warum wollten Sie denn nach fünf Jahren als provisorischer Leiter des Gymnasiums Werndlpark – statt sich offiziell um den Job als Direktor zu bewerben – in die zweite Reihe zurücktreten und wieder "nur" noch Lehrer sein? "Weil die verantwortlichen Stellen, allen voran natürlich der Bildungsminister, die Direktorinnen und Direktoren und damit auch die Lehrkräfte sowie die Schülerinnen und Schüler – einschließlich ihrer Eltern – im Stich lassen", begründet er seinen Schritt.

Joachim Reimitz sieht die Schulen im Stich gelassen.
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Er erzählt von der fast alltäglichen Überforderung derer, die die Schulen am Laufen halten und zu einem Ort zu machen, an dem Kinder und Jugendliche bestmöglich betreut, unterrichtet, unterstützt und gefördert werden sollen und wollen.

Was brauchen die Direktorinnen und Direktoren am dringendsten, um ihre Führungsfunktion besser ausfüllen zu können? Reimitz nennt "unbedingt ein mittleres Management". Als Direktor war er quasi Primus inter Pares. Ein Lehrer aus dem Kollegium steht als Direktor an der Spitze der Schule, dahinter das Kollektiv der Lehrkräfte: "Ich habe als Direktor in der Schule die Gesamtverantwortung für alle, wirklich alle Bereiche, von der Reinigung über die Verwaltung, für wirtschaftliche und pädagogische Aspekte, die Betreuung der Lehrerinnen und Lehrer. Da bleibt so wenig Zeit für die eigentliche Führungsaufgabe in der Schule."

Mittelgroßes Unternehmen ohne mittleres Management

Das Gymnasium Werndlpark mit mehr als 70 Lehrkräften und rund 700 Schülerinnen und Schülern entspricht einem mittelgroßen Unternehmen – ohne mittleres Management. In der Wirtschaft völlig undenkbar, im Schulbereich Alltag.

Wofür hätte Reimitz Verantwortliche auf der mittleren Organisationsebene gebraucht? Zum Beispiel für die Gestaltung von Informationsveranstaltungen und Festen, das Erarbeiten und Vermitteln von Schulregeln, aber auch für die Betreuung der vorwissenschaftlichen Arbeiten (VWA) bei der Matura. Diesen ersten wissenschaftlichen Leistungsbeweis hält der Ex-AHS-Direktor für eine "Verlängerung der Bildungsungerechtigkeit, weil da ganz viel davon abhängt, aus welchem Elternhaus jemand kommt oder welchen Lehrer man erwischt". Reimitz hätte dafür gern Verantwortliche gehabt, "die die schulinternen Abläufe betreuen, damit die VWA gut geplant und fair betreut und durchgeführt wird". Diese aufwendige Arbeit leisteten drei Lehrkräfte ehrenamtlich.

Anders als in Pflichtschulen, wo viele Direktionen komplette Selbstversorger ohne Sekretariat sind, hatte Reimitz als AHS-Direktor immerhin eine 20-Stunden-Assistenz und zwei Mitarbeiterinnen für Buchhaltung, die sich eine Stelle teilten: "Ohne sie hätte ich in der Pandemie zusperren müssen."

Die Direktion als Therapiezentrum

Überhaupt, die Pandemie. Sie war eine Zäsur in der Schule. Ein Punkt, der schon davor immer größere Aufmerksamkeit forderte, erzählt Reimitz, habe sich durch Corona dramatisch verstärkt: "Meine Direktion war ein Therapiezentrum für alle möglichen Fälle."

Da war das Gefühl des Im-Stich-gelassen-Werdens besonders akut. Wenn Kinder weinend vor ihm saßen und plötzlich oder endlich ihren Müttern ihr Leid anvertrauten. "Ich saß dann da und dachte mir: Ich bin der Falsche", sagt Reimitz, der Lehramt für Geschichte und katholische Theologie studiert und Ausbildungen für Ethikunterricht und Theaterpädagogik absolviert hat. Viele bräuchten professionelle therapeutische Hilfe. "Ich versuchte dann, sie, oft mit enormem Zeitaufwand, verantwortungsvoll dorthin zu lotsen, wo ihnen geholfen wird." Irgendwann kamen diese Kinder aber wieder zurück – und dann? Reimitz schildert die Rückkehr suizidgefährdeter Schüler nach einer Spitalsbehandlung – und alle waren überfordert. "Die anderen Kinder hatten Schockstarre, weil sie nicht wussten, wie sie mit dem Kind umgehen sollen. Eine Mathematiklehrerin sagte zu mir: Ich gebe dieser Schülerin keine 'normale' Note mehr. Wer weiß, was dann passiert?"

Für solche Situationen bräuchten Schulen dringend psychologische Angebote oder in anderen Fällen sozialarbeiterische Unterstützung. Alles Mangelware hierzulande.

Oft unpraktikable Reformideen

Reimitz ärgert sich über politische Fehler in Reformen, die er darauf zurückführt, "dass das auf den Schreibtischen im Bildungsministerium ersonnen wird, anstatt die Praktikerinnen und Praktiker in den Schulen einzubinden und auf sie zu hören, denn ganz vieles ist nicht wirklich praktikabel oder schlichtweg eine Verschlechterung". Als Beispiel nennt der Ex-Direktor die Abschaffung des Unterrichtspraktikums, die er für "Wahnsinn" hält: "Das war wirklich wichtig, dass Junglehrer in ihren Fächern von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen begleitet wurden. Jetzt werden die Jungen verheizt und sehenden Auges kaputtgemacht, bevor sie überhaupt halbwegs zu Lehrern geworden sind. Sie geben zwar noch nicht auf, aber sie stöhnen. Das ist ein Damoklesschwert für die Zukunft", warnt er.

Generell sieht der Nicht-mehr-Direktor die Schulen und alle, die dort lernen und arbeiten, an einem prekären Punkt und appelliert an die Politik: "Sie müssten uns in den Schulen fragen, wie es uns geht, weil die Kinder und die Lehrerinnen und Lehrer keine Puste mehr haben." Was bleibt, ist die Liebe zum Beruf. Das ist der Grund, warum Joachim Reimitz nach einem Sabbatical nächstes Jahr wieder das machen wird, was er immer machen wollte – ohne den Zusatz "nur": Lehrer sein. (Lisa Nimmervoll, 13.12.2022)