Am Lawrence Livermore-Labor könnte ein Durchbruch gelungen sein, auf den Forschende seit Jahrzehnten hingearbeitet hatten.
Foto: Reuters/DAMIEN JEMISON

Die Nachricht aus Kalifornien verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Dort gelang es den Forschern der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory offenbar bei einer kontrollierten Kernfusion mehr Energie zu erzeugen als sie für den Prozess einsetzen mussten. Wie die "Financial Times" unter Berufung auf zwei ungenannte Mitarbeiter des Instituts als erste berichtete, setzten die Forscher 2,1 Megajoule an Energie ein, um mithilfe von Laserstrahlen die Verschmelzung zweier Wasserstoff-Isotope in Gang zu setzen. Die Fusionsreaktion in der Anlage produzierte 2,5 Megajoule an Energie.

Dies entspräche einem Gewinn von rund einem Fünftel. Exakte Zahlen werden erwartet, wenn US-Energieministerin Jennifer Granholm an diesem Dienstag die Öffentlichkeit über den, wie es aus dem Ministerium heißt, "großen wissenschaftlichen Durchbruch" informiert.

Bei der Kernfusion verschmelzen zwei Atomkerne zu einem neuen Kern – und setzen dabei Energie frei.
Illustr.: John Jett, Jake Long/LLNL

Gratulation aus aller Welt

Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus aller Welt gratulierten den Kollegen in Kalifornien bereits zu dem Durchbruch. "Wenn sich das bestätigt, erleben wir einen historischen Moment", wertet etwa der Plasmaphysiker Arthur Turrell vom Londoner Imperial College die durchgesickerten Ergebnisse. "Das sind tolle Ergebnisse, zu denen wir den Kollegen bei NIF gern gratulieren", sagte die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP), Sibylle Günter, dem deutschen Nachrichtenkanal NTV.

"Wir sind enorm stolz darauf, dass dies hier in den USA geschehen ist", meint David Edelman, dessen Firma TAE im Bereich der Kernfusion tätig ist. "Das ist ein wichtiger Meilenstein". Seit den 1950er-Jahren haben Forschende versucht, Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen zu gewinnen. Trotz enormer Investitionen in den "heiligen Gral" der Energiegewinnung erwies sich dieser Weg zu sauberer Energie als ausgesprochen holprig.

"Nur eine Frage der Zeit"

Den US-Amerikanern gelang das bahnbrechende Experiment durch den Einsatz einer vielversprechenden Strategie, die unter Experten als "Trägheitsfusion" bekannt ist. Dabei wird Wasserstoff in einem Hohlraum mit extrem intensiven Laserstrahlen beschossen. Die in einer nur zwei Millimeter großen Kapsel eingeschlossenen Isotope Tritium und Deuterium verschmelzen bei einer Temperatur von knapp 60 Millionen Grad Celsius zu Helium und erzeugen in dem Prozess Energie.

Gewissermaßen repliziere man damit, was in der Sonne passiert. Ein leitender Fusionsforscher an der National Ignation Facility erklärte gegenüber der "Washington Post", das Prinzip sei den Experten schon seit einiger Zeit klar gewesen. "Für die meisten von uns war dies nur eine Frage der Zeit."

Alternative Ansätze

Ein alternativer Ansatz im Wettlauf um die Kernfusion wird im südfranzösischen Cadarache verfolgt, wo der Forschungsreaktor ITER entsteht. Ein internationales Konsortium, dem die Europäische Union, die USA, die Schweiz, Großbritannien, Japan, Südkorea, China und Russland angehören, hat Milliarden an Euro investiert, um in dem Reaktor vom Typ Tokamak mithilfe gewaltigen Magneten, Plasma aus Wasserstoff-Isotopen so weit erhitzen, dass die Kernfusion einsetzt.

Um einen sogenannte Stellarator-Reaktor handelt es sich hingegen bei der Forschungseinrichtung Wendelstein 7-X in Greifswald in Norddeutschland. Die Hoffnung besteht, dass diese Technologien ab Mitte der 40er-Jahre so weit sein könnte, dass sie Strom liefern. In dieser Hinsicht sind die Forschenden am staatlichen Lawrence Livermore National Labor mit ihrem Nachweis einer positiven Energiebilanz deutlich weiter.

Wie groß der Nutzen einer auf Kernfusion basierenden Energiewirtschaft wäre, illustriert ein Vergleich, den Fusionsforscher gerne anstellen. Demnach kann ein Gramm Wasserstoff so viel Energie liefern, wie elf Tonnen Kohle. Eine Kaffeetasse voll mit Wasserstoff-Brennstoff reichte aus, ein Wohnhaus über hunderte Jahre mit Energie versorgen.

Der Durchbruch gelang am Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore, Kalifornien.
Foto: Reuters/ National Nuclear Security Administration

Hoffnung auf saubere Energiequelle

Anders als bei der seit Jahrzehnten zur Energiegewinnung in Atomkraftwerken eingesetzten Kernkraft fällt bei der Kernfusion kaum radioaktiver Müll an, der in Endlagern auf lange Zeit ein schwer kalkulierbares Risiko darstellt. Sollte es Ingenieurinnen und Ingenieuren gelingen, die Ergebnisse der kalifornischen Forscher in ein verlässliches Verfahren zur Energieproduktion zu verwandeln, stünde einer ergiebigen und einigermaßen sauberen Energiequelle nichts im Weg.

"Die Kernfusion hat das Potential, mehr Menschen weltweit aus der Armut zu befreien als die Erfindung des Feuers", freut sich der Vorsitzende des überparteilich besetzten Ausschusses für Fusionsenergie im US-Kongress, Don Beyer. Die USA haben erhebliche Summen in das Versprechen der Kernfusion investiert. Zuletzt durch die Bereitstellung vieler Milliarden US-Dollar im Rahmen der größten Klimagesetzgebung in der Geschichte des Landes ("Inflation Reduction Act").

Private Investitionen

Neben den staatlichen Mitteln fließen heute auch erhebliche private Gelder in die Versprechungen der sauberen Energie aus der Kernfusion. Laut der "Fusion Industry Association" investierten Unternehmen allein in den vergangenen zwölf Monaten 2,83 Milliarden Dollar. Das Interesse der Investoren könnte dazu beitragen, die praktische Erschließung der Kernfusion zu beschleunigen.

Doch die Herausforderungen bleiben enorm. Nach Ansicht von Experten wird es noch viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern, bevor Energie aus Fusionsreaktoren in die Stromnetze eingespeist werden kann. "Obwohl das eine positive Nachricht vom NIF ist, ist dieses Ergebnis noch weit von der tatsächlichen Energiegewinnung entfernt, die für die Stromerzeugung erforderlich ist", sagt Tony Roulstone, der an der Universität Cambridge im Bereich Nuklearenergie tätig ist und nicht an den Experimenten am NIF beteiligt war. "Das Ergebnis ist ein Erfolg der Wissenschaft, aber noch weit davon entfernt, reichlich saubere Energie zu liefern."

Hürden bleiben bestehen

Auch Jeremy Chittenden, Professor für Plasma-Physik am Imperial College London, der ebenfalls nicht an der Arbeit beteiligt ist, betont: "Um die Kernfusion in eine Energiequelle zu verwandeln, müssen wir den Energiegewinn noch weiter steigern. Wir müssen auch einen Weg finden, denselben Effekt viel häufiger und viel billiger zu reproduzieren, bevor wir dies realistisch in ein Kraftwerk verwandeln können." Dennoch zeigen die kolportierten Nachrichten für ihn, "dass das lang ersehnte Ziel, der ‚heilige Gral‘ der Fusion, tatsächlich erreicht werden kann".

Eine offizielle Bestätigung des kolportierten Erfolges und nähere Details zum möglichen Durchbruch sind bei einem Statement der US-Energieministerin Jennifer Granholm zu erwarten, das für Dienstag 16 Uhr angekündigt ist. (Thomas Spang, Tanja Traxler, 12.12.2022)