In Paris bleiben die Lichter aus, um Strom zu sparen.

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Paris, die grandiose Lichterstadt, musste die Kerzen anzünden. Ganze Straßenzüge zwischen den Stadtteilen Bastille, Place de la République und dem Quartier Latin – die Bezirke 3, 4, 5 und 14 – hatten in der Nacht auf Freitag keinen Strom mehr. Um 22 Uhr war er ausgefallen; ortsweise wurde es erst gegen Mitternacht wieder hell in den Fenstern.

An sich wäre der Stromausfall an diesem Abend nicht sonderlich gravierend gewesen. Der in Paris in dieser Form noch nie erlebte Teil-Blackout wirkt aber für viele Landesbürgerinnen und -bürger wie ein böses Omen. Seit gut einer Woche stimmen sie die Behörden auf die Möglichkeit kontrollierter Netzausfälle ein, wobei sie verharmlosend von möglichen "délestages" (Entlastungen) sprechen.

Die Lage ist ernst: Die 56 Atomkraftwerke im Land liefern weiterhin zu wenig Strom, der Stromexporteur Frankreich muss so viel Elektrizität wie nie zuvor aus Deutschland einkaufen und zusätzlich ein zweites Kohlekraftwerk wieder anwerfen.

EDF könnte Strom zu Spitzenkonsumzeiten bald kappen müssen

Zwar teilte die Netzbetreiberin Enedis mit, der Energieausfall in vier der 20 Stadtbezirke habe nichts mit der generellen Notlage oder dem Atomenergie-Engpass zu tun; der Grund dafür sei ein "technischer Zwischenfall in einem Transformator". Doch das klingt für französische Ohren etwa so überzeugend wie die behördliche Behauptung von 1986, die radioaktive Wolke des AKW-Unglücks von Tschernobyl habe an der französischen Grenze haltgemacht. So sind die Pariser Medien voll von Berichten verängstigter Menschen, die Kerzen oder Gaskocher kaufen sowie Nahrungsmittel horten.

Zusätzlich zum Stromunterbruch hatte der Stromkonzern Électricité de France (EDF) angekündigt, er könnte gezwungen sein, den Strom zu Spitzenkonsumzeiten am Morgen und am frühen Abend für mehrere Stunden zu kappen. Nur Viertel mit Spitälern, Polizei- und Feuerwehrstationen blieben verschont.

Präsident Macron versuchte zu Wochenbeginn zu beschwichtigen: "Keine Panik, das nützt nichts." Es sei normal, dass die Regierung den Extremfall vorbereite, erklärte Macron. Kritikerinnen und Kritiker der Maßnahme konterten jedoch mit der Frage, wie zum Beispiel jene Menschen überleben sollen, die zu Hause an ein Beatmungsgerät angeschlossen sind.

AKW-Leistung steigt wieder

EDF, Enedis und die Präfekturen spielten vergangene Woche mehrere Szenarien von Unterbrüchen am Computer durch. Insidern zufolge ging es bei diesen Simulationen aber weniger um die Stromnetze, als vielmehr um die Aufrechterhaltung der Notrufnummern sowie um all die Fälle, die von Notstromaggregaten abhängen. Das betrifft neben Krankenhäusern unter anderem auch den Verkehr, weil die Ampelschaltung elektronisch gesteuert ist.

Wie verbreitet die Angst vor einem Zusammenbruch des Stromnetzes ist, zeigt sich auch darin, dass der Energiekonsum in Frankreich in der letzten Zählwoche um 8,3 Prozent gesunken ist. Fachleute schließen daraus, dass die Citoyens die Stromsparappelle – etwa jene zum Herunterschalten von Heizung auf 19 Grad in Wohnungen und Büros – pflichtbewusst umsetzen. Bei einer Einsparung von zehn Prozent sollen keine Stromunterbrüche nötig sein.

Eine für die Stromversorgung vielversprechende Nachricht hat auch die EDF: 40 von 56 Atomreaktoren seien nach Abschluss von Reparaturen und Wartungsarbeiten wieder am Netz. Die AKW-Leistung erreicht damit fast wieder 40 – von potenziell 61 – Gigawatt. Die schlechte Nachricht: In Frankreich zieht die Kälte ein; vielerorts schneite es zum ersten Mal in diesem Winter. Sollte es im Jänner noch kälter werden, nützen auch die am Freitag erstellten Computersimulationen nicht mehr viel. (Stefan Brändle aus Paris, 13.12.2022)