Ein roter Gabelstapler fährt entlang einer wogenden weißen Masse an Hühnern. Ein knappes Dutzend wird unter seinen Rädern zermalmt. Arbeiter greifen in die Herde, packen flatternde Körper an Beinen und Flügeln, stopfen sie in Plastikkisten, ehe sie in einen Lkw verladen werden. 15.000 Masthühner wachsen in der kargen Industriehalle heran. Schwerfällig drängt sich die Herde Flügel an Flügel rund um an Rohre befestigte gelbe Behälter. Das Gewicht der Brust drückt viele unter ihnen zu Boden. Einzelne Hühner liegen reglos auf dem Rücken, schwer atmend, federlos, die Beine entzündet und gespreizt. Andere steigen über tote Artgenossen. Halbverweste, von Maden zerfressene Küken wurden zu einem harten Ballen gepresst.

Der Appetit auf Geflügel wächst. Mittlerweile werden in Österreich jährlich 94,4 Millionen Hühner geschlachtet.
Foto: VGT

Die Bilder, die einem Netzwerk aus 30 internationalen NGOs über den Verein gegen Tierfabriken zugespielt wurden, sind harte Kost. Im Juli und August 2022 aufgenommen, geben sie den Tierschützern zufolge Einblick in einen südoststeirischen und von der AMA zertifizierten Geflügelbetrieb, der in seinen Ställen mehr als 60.000 Hühner mästet. Beliefert werde ein Schlachthof, der Geflügel für Großkunden wie Lidl zerlege und verarbeite.

Anzeige wegen Tierquälerei

Der Landwirt soll wegen Tierquälerei angezeigt werden. Brutal überfahrene Hühner geben den Zündstoff dafür. Die Haltebedingungen selbst seien aber in konventioneller Hühnerzucht Normalzustand, sagt VGT-Kampagnenleiterin Denise Kubala dem STANDARD. Sie wolle daher nicht einzelne schwarze Schafe anprangern. Ziel sei es, Konsumenten Massentierhaltung transparenter zu machen und über Druck auf Lieferketten höhere Standards in der Fleischproduktion zu erreichen.

Die Kritik an Lidl ist nicht neu. Tierschützer wie die Albert-Schweitzer-Stiftung warfen dem Diskonter jüngst international vor, in Italien, Spanien und Deutschland Hühnerfleisch von Lieferanten zu beziehen, die Geflügel unter unwürdigen Zuständen hielten. Nun ist Lidl auch in Österreich in ihrem Visier.

Anders als etwa Aldi war der Handelskonzern bisher nicht bereit, sich der Europäischen Masthuhn-Initiative anzuschließen. Diese fordert natürliches Licht und Beschäftigungsmaterial für Geflügel. Vor allem aber will sie die Landwirtschaft EU-weit dazu bewegen, weniger schnell wachsende Rassen einzusetzen.

16 bis 18 Masthühner teilen sich in Österreich einen Quadratmeter Stall. EU-weit sind es noch deutlich mehr.
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Ross 308 heißt das hochgezüchtete Superhuhn, das den Fleischmarkt global dominiert. Ein 132 Seiten dickes Handbuch dient Bauern als Bedienungsanleitung. Die notwendige Genetik liefert Aviagen. An dem deutschen Konzern führt für die Geflügelindustrie kein Weg vorbei. Bis zu 110 Gramm an Gewicht legt Ross täglich zu. Nach 29 Tagen wird es mit 1,70 Kilo zum Brat- oder Grillhendl. Nach 36 bis 40 Tagen deckt es mit 2,40 Kilo die starke Nachfrage nach Brustfleisch und Oberkeulen.

Für ein Kilo Fleisch braucht es eineinhalb Kilo Futter. Nur Fische sind bessere Verwerter. Organe und Bewegungsapparat des monopolisierten Huhns halten mit der Turbo-Zucht nicht mit. Das macht es anfällig für Missbildungen und Verletzungen. Drei bis vier Prozent der Tiere überleben die Mast nicht. Es ist ein finanziell einkalkulierter Abgang.

Markus Lukas, Obmann der Geflügelmäster, wäre wohler, wenn seine Hühner langsamer und damit gesünder wachsen dürften, sagt er. Entsprechende Versuche seien zwar schon sehr vielversprechend – der Markt lasse sie derzeit jedoch kaum zu. Denn je länger die Aufzucht währt, desto höher sind die Kosten.

Ein Kilo um 3,49 Euro

Supermärkte verschleuderten ein Kilo an Hendlfleisch nach wie vor um 3,49 Euro. "Der Konsument ist vielfach nicht bereit, mehr dafür zu bezahlen." Von heute auf morgen auf andere Rassen umzustellen, hält der Landwirt derzeit für unmöglich. "Das würde die Menge an Geflügelfleisch um die Hälfte reduzieren."

Lukas sieht im Falle des südoststeirischen Hühnerzüchters individuelles Versagen. Die Fahrt des Verladers in die Hühnerschar verurteilt er scharf. Mit dem Betrieb in einen Topf werfen lässt er seine Branche jedoch nicht – zumal die gesetzlichen österreichischen Tierschutz-Standards, wie er betont, deutlich über den Vorgaben in Europa liegen.

Bis zu 110 Gramm an Gewicht legt ein Huhn der Rasse Ross 308 täglich zu. Organe und Bewegungsapparat halten mit der Turbo-Zucht nicht mit.

Gerechnet wird beinhart: 16 bis 18 Hühner teilen sich in der konventionellen Mast einen Quadratmeter. Das entspricht einer Besatzdichte von 30 Kilo. EU-weit sind bis zu 42 Kilo zugelassen. 1,8 bis zwei Arbeitskräfte betreuen hierzulande gut 40.000 Hendln. Mehr sind aufgrund hoher Automatisierung nicht nötig. Sieben Mal im Jahr wird ausgestallt, sprich geschlachtet. An Mähdrescher erinnernde Erntemaschinen sammeln die Tiere ein, über ein Förderband landen diese im Container.

Zwölf Kilo Huhn weniger verteuern den Quadratmeter Stall um 15 Euro. Umgelegt auf 2.000 Quadratmeter große Hallen, summieren sich die jährlichen Mehrkosten auf bis zu 210.000 Euro. "Wir müssen aufpassen, dass die Wertschöpfung nicht ins Ausland abwandert und wir Tierleid importieren", warnt Lukas.

Wachsender Appetit auf Huhn

Der Appetit auf Huhn ist groß. Kein Fleisch erlebt stärkeres Wachstum. 9,6 Kilo Hendl verzehrt ein Österreicher der Statistik Austria zufolge im Schnitt im Jahr. Die Geflügelwirtschaft beziffert den Pro-Kopf-Verbrauch an Masthühnern mit knapp 16 Kilo. 4,6 Prozent des Absatzes waren heuer Bio, erhob die AMA. Wurden in Österreich 2015 noch 77 Millionen Hühner geschlachtet, sind es mittlerweile mehr als 94 Millionen.

Der Einsatz von Antibiotika blieb trotz der Zunahme an Mastplätzen stabil, zieht Lukas Bilanz. Er verweist auf neue Tierwohl-Labels, die Geflügel mehr Platz und Zugang zu Wintergärten versprechen.

Drei bis vier Prozent der Tiere überleben die Mast nicht. Es ist ein finanziell einkalkulierter Abgang.
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Richtlinien seien gut und schön, ohne ausreichende Kontrollen aber zahnlos, kritisiert Kubala. Tierärzte begutachten Lukas zufolge jede Herde drei Mal. Die AMA hält in der Regel einmal jährlich Nachschau. Sie spricht auf Nachfrage von einem effizienten Kontrollsystem. Schwerpunktprüfungen hält sie für zielführender rund um das Fangen und Verladen von Geflügel, das nachts stattfindet.

Was die Abkehr von schnell wachsenden Hühnerrassen betrifft, seien die Weichen für ein Umdenken gestellt. Konsumenten müssten diese Initiativen aber auch mittragen.

Lidl Österreich distanziert sich von Tierquälerei: Man nehme die Vorwürfe ernst und prüfe den Lieferanten, heißt es auf Anfrage. Lidl setze sich für die Weiterentwicklung von Tierwohl-Standards ein und baue entsprechende Sortimente aus. Alles dauerhaft gelistete Hühnerfleisch komme aus Österreich, knapp ein Viertel aus Bio- und verbesserter Tierhaltung. (Verena Kainrath, 13.12.2022)