Keine löchrige Grenze: rumänischer Beamter an einem Checkpoint zur Republik Moldau.

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Bukarest/Wien – Die Entscheidung Österreichs, dem Schengen-Beitritt Rumäniens eine Absage zu erteilen, schlägt auch noch Tage nach der Abstimmung hohe Wellen. Am Montag schickte der rumänische Innenminister Lucian Bode einen Protestbrief an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), in dem er ihn der Lüge bezichtigt. Österreich hätte im Gegensatz zu den anderen EU-Staaten "eine unfaire, ungerechte Entscheidung" gefällt, "ohne wirkliche Rechtfertigung, die auf EU-Ebene enormen Schaden anrichtet und im aktuellen geopolitischen Kontext einen gefährlichen Präzedenzfall darstellt".

Mit der Ablehnung Österreichs seien nicht nur die Verdienste Rumäniens und der rumänischen Bürger "mit Füßen getreten" worden, "sondern auch die Werte und Prinzipien, die uns auf europäischer Ebene leiten", kritisiert Bode. "Alle Mitgliedsstaaten konnten sehen, wie Österreich eine willkürliche Entscheidung getroffen hat, die das Recht Rumäniens, ein Vollmitgliedstaat des Schengen-Raums zu sein, eklatant verletzt, und die Argumente, die Sie am Ende dieses Prozesses hatten, haben einfach nichts mit der Realität zu tun."

"Lügen und Ungerechtigkeit"

Nichts Großes und Dauerhaftes könne "auf Lügen und Ungerechtigkeit aufgebaut werden", so der rumänische Minister. Bode beschuldigt Karner zudem, "ein politisches Spiel gemacht" zu haben. Rumänien sei "auf unfaire, diskriminierende und unlogische Weise" behandelt worden. "Sie wissen genauso gut wie ich, dass das von Ihnen angesprochene Migrationsproblem nicht Rumänien zugeschrieben werden kann. Alle anderen Mitgliedsstaaten haben es verstanden", schreibt er.

Gegen Teile der Schengen-Erweiterung hatten sich zwar auch die Niederlande ausgesprochen, aber konkret blockierten sie nur den Beitritt Bulgariens. Als Gründe nannten sie die Korruption, aber auch den unzureichenden Umgang mit Asylsuchenden; zuletzt gab es aus Bulgarien Berichte über weggesperrte und misshandelte Menschen auf der Flucht. Gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens hingegen hatte Den Haag keine Einwände – was wohl auch damit zu tun hat, dass das Land bei den Fluchtrouten in die EU nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Routen nicht durch Rumänien

Tatsächlich führt die Landroute vielmehr über die türkisch-bulgarische Grenze nach Serbien und weiter über Ungarn nach Österreich. Menschen wiederum, die auf dem lebensgefährlichen Wasserweg von der Türkei nach Griechenland übersetzen, durchqueren meist Nordmazedonien und Serbien, manche auch Kroatien und Slowenien, die meisten reisen aber, auch hier wieder, über Ungarn weiter.

Auch Statistiken der EU-Grenzschutzagentur Frontex über Aufgriffe illegaler Grenzgänger in den Jahren 2021 und 2022 lassen auf eine nur geringe Rolle Rumäniens bei der irregulären Migration nach Österreich schließen. Im dritten Quartal 2022 wurden demnach in Bulgarien 1088, in Rumänien 184 Personen aufgegriffen: um zehnmal weniger Menschen als in Bulgarien.

Frontex-Statistik

Für die Frontex-Statistik wurden Meldungen der Staaten selbst herangezogen. Daher ist von einer zahlenmäßigen Unterschätzung auszugehen. Wer nicht angetroffen wurde, wurde nicht mitgezählt, reiste jedoch trotzdem in andere EU-Staaten wie Österreich weiter. Hier präsentierte das Bundeskriminalamt am Montag eigene Zahlen, die auf kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen Schlepper basieren sollen).

Weit mehr Treffer als an den EU-Außengrenzen Rumäniens und Bulgariens gibt es in Ungarn. Im dritten Quartal 2022 meldete das dortige Innenministerium 47.563 Aufgriffe an Frontex, wobei hier die Grenze zwischen Serbien und Ungarn im Mittelpunkt stand.

Österreich schickt mehr Polizei nach Ungarn

In Ungarn selbst haben Flüchtende kaum Möglichkeiten, einen Asylantrag zu stellen. Sie werden durch das Land durchgewinkt. Das hat beträchtlich zu der Rekordzahl von heuer schon mehr als 100.000 Asylanträgen in Österreich beigetragen. Doch statt die Verweigerung Budapests zu kritisieren, verkündete das Innenministerium in Wien am Montag, dass im Rahmen der "Operation Fox" 30 zusätzliche Polizeibeamte auf ungarischem Staatsgebiet gegen Schlepper und Flüchtende vorgehen sollen.

Bis dato waren dort in Grenznähe bereits 30 österreichische Beamte im Einsatz – jeweils "in Anwesenheit ungarischer Beamter", wie es aus dem Innenministerium heißt. Sollten von Österreichern Aufgegriffene der ungarischen Polizei übergeben und in der Folge nach Serbien zurückgeschoben werden, mache sich Wien "an einem Völkerrechtsbruch mitschuldig", warnte Christoph Riedl, Asylbeauftragter der Diakonie.

Rücktrittsforderungen an Bode

In Rumänien stehen die Zeichen aufgrund der österreichischen Schengen-Ablehnung indes auf Sturm. Politische Beobachter in Bukarest vermuten, dass Innenminister Lucian Bode in den nächsten Tagen zurücktreten könnte. Bereits nach dem Schengen-Nein gab es mehrere Rücktrittsaufforderungen an ihn. Bode, aber auch Präsident Klaus Iohannis wird der Vorwurf gemacht, nicht genug getan zu haben, um die Ablehnung Österreichs zu verhindern. (Irene Brickner, Adelheid Wölfl, 13.12.2022)