Karl Nehammer machte in der ORF-Pressestunde den Eindruck, den er öfter macht: den eines Politikers, mit dem man reden kann. Er geht auf Fragen ein, liefert Argumente, bei wichtigen Themen blitzt Haltung durch. Man nimmt es ihm ab, wenn er vom "radikalisierten Kickl" redet, der nur die "russische Propaganda" wiedergebe; und wenn er seiner Bestürzung über den weltverändernden russischen Überfall auf die Ukraine Ausdruck verleiht. Das cremige Einseifen seines Vorvorgängers Kurz fehlt. In der wirtschaftlichen Krisenbekämpfung ist die Performance seiner Regierung nicht so schlecht.
Die Frage ist nur, ob Bundeskanzler Nehammer nicht in einer wesentlichen Frage falschliegt – der Migrationspolitik. Ja, Österreich trägt da eine Last, die größer ist als die anderer. Ja, mit dem "Auslända"-Thema punktet die FPÖ. Und, ja, Ungarns übles Orbán-Regime ist "unser Nachbar".
Aber gegenüber einem boshaften Störenfried als Nachbarn, der auf unsere Kosten seine Spielchen treibt, hilft Verbrüderung oder Appeasement nichts. Man kann mit dem Veto gegen Rumäniens Schengen-Beitritt versuchen, die EU unter Druck zu setzen, an der konkreten Migrationsproblematik ändert das genau null. Man kann versuchen, die FPÖ rechts zu überholen, auf Sicht endet das aber im Graben.
Politik ist auch Taktik, ist auch populistisches Reagieren. Aber das kann nicht alles sein. Man muss sich freispielen. (Hans Rauscher, 12.12.2022)