Gesellschafterversammlungen von GmbHs oder AGs und Zivilprozesse dürfen seit Ausbruch der Pandemie online stattfinden.

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Wenn der Nationalrat dieser Tage zu den letzten Sitzungen des Jahres zusammentritt, wird er sich einmal mehr mit Covid-19 beschäftigen. Auf der Tagesordnung stehen diese Woche zwei Ausnahmeregelungen, die verlängert werden sollen: das Covid-19-Justizbegleitgesetz und das gesellschaftsrechtliche Covid-19-Gesetz. Die Regelungen erlauben digitale Zivilprozesse und digitale Gesellschafterversammlungen.

Bei Stakeholdern wie der Anwaltskammer und dem Interessenverband für Anleger (IVA) stößt der Plan der Regierungsparteien, die Gesetze bis Ende Juni 2023 fortzuschreiben, auf wenig Gegenliebe. Schließlich verlängert die türkis-grüne Koalition die Ausnahmeregeln zum dritten Mal, obwohl praktisch alle anderen bundesweiten Covid-Bestimmungen mittlerweile aufgehoben sind.

Übernahme ins Dauerrecht?

Als im März 2020 die erste Infektionswelle über Österreich rollte, mussten zahlreiche Zivilprozesse und Gesellschafterversammlungen verschoben werden. Der Nationalrat schuf deshalb die vorübergehende Möglichkeit, beides auch online abzuhalten. Von einem "Digitalisierungsschub", den die Pandemie ausgelöst habe, war die Rede.

Stimmen forderten deshalb die Übernahme dieser Ausnahmebestimmungen ins Dauerrecht. Und tatsächlich: Das Justizministerium arbeitet seither daran, die Möglichkeit, Zivilprozesse und Gesellschafterversammlungen digital durchzuführen, weiterhin beizubehalten.

Einschnitt bei Teilhabe

Doch gleichzeitig hagelte es Kritik: Der Anlegerverband argumentierte, dass digitale Hauptversammlungen bei großen Aktiengesellschaften zu einer "Entdemokratisierung" führten. Kleinere Anlegerinnen und Anleger hätten online nicht die dieselben Möglichkeiten der Teilhabe. Zwar können sie Fragen vorab einreichen, spontane Statements seien damit aber ungemein schwieriger.

Und auch die digitalen Zivilprozesse stießen mitunter auf wenig Gegenliebe: Zwar dürfen Verhandlungen nur dann online durchgeführt werden, wenn die Verfahrensparteien zustimmen, Anwältinnen und Richter verwiesen allerdings auf mögliche Manipulationen und technische Probleme. "Zivilprozesse sind keine Online-Yogastunde", betonte etwa Elisabeth Lovrek, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH).

Die Kritik war Mitgrund dafür, dass sich die Koalition nicht auf eine generelle Reform einigen konnte. Stattdessen werden die Covid-Ausnahmeregeln nun aller Voraussicht nach zum dritten Mal um ein halbes Jahr verlängert.

Fixierte Übergangslösung

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (Örak) kann das nicht nachvollziehen. Die Kammer ist zwar nicht grundsätzlich gegen digitale Zivilprozesse, spricht sich aber "für eine vernünftige Dauerlösung anstatt einer schleichenden Überführung eines Provisoriums ins Dauerrecht aus". Man warte seit geraumer Zeit auf einen überarbeiteten Vorschlag des Justizministeriums, nachdem ein erster Entwurf im Vorjahr richtigerweise zurückgenommen worden sei.

Laut Johannes Margreiter, Justizsprecher der Neos, sei bei Gerichtsprozessen vor allem problematisch, dass die Glaubwürdigkeit von Aussagen in digitaler Umgebung kaum kontrollierbar sei. Es sei "nicht hinnehmbar", dass die Ausnahmeregeln nun verlängert werden, "ohne dass die pandemischen Voraussetzungen dafür auch nur annähernd gegeben sind".

Allein die Annahme, dass Auswirkungen auf den Gerichtsbetrieb möglich erscheinen, könne die "fortgesetzte Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze" nicht rechtfertigen, sagt Margreiter. Ähnlich sieht das Florian Beckermann, Vorstand des Interessenverbands für Anleger. Bei der letzten Verlängerung Ende Juni habe man noch mit der pandemischen Lage argumentieren können, mittlerweile sei das aber anders.

Und die Regierung?

Warum werden die Gesetze also verlängert, obwohl praktisch alle anderen bundesweiten Covid-Bestimmungen außer Kraft sind? Die Antwort der Grünen: Derzeit könne "noch nicht vollständig ausgeschlossen werden", dass doch wieder Maßnahmen gebraucht werden, falls physische Abstandsregeln notwendig werden.

Für eine allfällige Übernahme der digitalen Zivilprozesse und der digitalen Gesellschafterversammlungen müsse man "sorgsam abwägen". All dies sei derzeit Gegenstand "laufender Diskussionen". (Jakob Pflügl, 13.12.2022)