An die Öffentlichkeit gelangte verstörende Bilder aus einem großen steirischen Geflügelmastbetrieb schlagen Wellen. Hühner wurden, wie DER STANDARD berichtete, von Ladern zermalmt. In einer kargen Stallung zusammengepfercht, wuchsen sie zuvor unter toten, halb verwesten Tieren heran.

Österreichs Geflügelmäster sehen sich in einer Vorreiterrolle in der EU. Nun erschüttert ein Tierskandal die Branche.
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Die AMA ordnete sofortige Kontrollen an und sperrte das Unternehmen vorsorglich, dem nun Geldbußen drohen. Auch die Zentrale Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft kündigte Strafen an. Beide verurteilen die Missstände scharf und sprechen von untragbaren Zuständen. Der Verein gegen Tierfabriken erstattete eine Anzeige wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz und die Tierhalteverordnung.

Händler wie Spar prüfen, ob auch sie unter den Abnehmern sind. Falls ja, fliege der Lieferant aus dem Sortiment, lässt der Konzern wissen.

Der aktuelle Fall reiht sich in eine Reihe von Skandalen in der österreichischen Tiermast, die zuletzt vor allem Schweinehalter erfasste. Was fast alle an das Licht gekommenen schwarzen Schafe und systemimmanenten Probleme verbindet: Sie laufen unter dem AMA-Gütesiegel.

Ist die staatliche Herkunftskennzeichnung dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen? Was wiegt dieses Siegel für Konsumenten, warum gerät es zusehends unter Druck?

Trippelschritte

Gegründet rund um den EU-Beitritt, zielte es darauf ab, die Herkunft von Lebensmitteln in den Regalen des Einzelhandels sichtbar zu machen. Groß war die Sorge, im internationalen Wettbewerb unterzugehen. Rot-weiß-rote Siegel sollten Konsumpatriotismus fördern. Fleisch etwa darf dieses nur tragen, wenn die Tiere in Österreich geboren, gemästet, geschlachtet und zerlegt wurden.

Die Ansprüche und der Informationsbedarf der Österreicher stiegen, vor allem was Standards in der Tierhaltung betrifft. Im Bemühen, möglichst viele Bauern und damit Beitragszahler unter ihr Dach zu holen, blieb die AMA aber weitgehend das, was sie war: eine von Handelsketten unabhängige und nachvollziehbare Kontrollinstanz für Herkunft und Qualität. Nicht weniger, aber auch nicht viel mehr.

Was Tierschutz betrifft, verlangt das Siegel von Schweinemästern in Österreicher jedoch kaum mehr, als die EU vorschreibt. Nachgebessert wird nur in Trippelschritten. Ein konventionell gehaltenes Schwein darf sich künftig etwa auf gerade einmal 700 Quadratzentimetern mehr Vollspaltenboden ausbreiten.

Bei Geflügel liegt die Latte höher. Masthühner müssen gut 30 Prozent mehr Platz erhalten und gentechnikfrei gefüttert werden. Der Antibiotika-Einsatz in der Aufzucht sank in der Folge seit 2012 um 60 Prozent. Fast ein Fünftel der Masthuhnhaltung ist bio. Österreich bedient damit vor allem den deutschen Markt.

Antrieb dafür war jedoch weniger die AMA als die Fleischbranche an sich – auf Druck des Handels. Und dieser fährt der staatlichen Instanz mit neuen Tierwohl-Labels am laufenden Band hart um die Ohren.

Wildwuchs der Siegel

Kräftig beworbene Eigenmarken der Supermärkte versprechen weniger Tierleid. Der Haken dabei: Unternehmen prüfen und zertifizieren sich dabei salopp gesagt selbst. Konsumenten werden einem Wirrwarr an Siegeln ausgesetzt. Hinter den Kulissen tobt derweil ein Kräftemessen der Supermärkte mit der AMA Marketing, die zusehends an Verhandlungsmasse verliert, zumal auch der Druck aus Exportländern, die ihr Tierwohl ausbauen, wächst.

Ausschließlich auf das AMA-Zeichen setzt noch Spar mit der Marke Tann. Sollte auch dieser Rückhalt bröckeln, geht Österreichs Landwirten bei Preisverhandlungen ein starker Hebel verloren. Spar selbst ortet bei AMA-Standards zwar Luft nach oben, nennt sie aber dennoch alternativlos. Die Devise: Nicht jeder sollte eigene Richtlinien stricken.

Was Hühnerfleisch betrifft, kauft Spar fünf bis zehn Prozent davon in Italien ein. Aktionen zu 3,49 Euro je Kilo empörten zuletzt die Geflügelbranche. Der Konzern argumentiert damit, auch Haushalte mit bescheidenem Einkommen mit Lebensmitteln versorgen zu müssen.

Tierwohl als Marketinginstrument

Der Kunde liebt idyllische Landwirtschaft, greift im Geschäft aber überwiegend zu Fleisch weit fernab von Bioqualität. Diese Kluft spiegelt sich in der AMA wider. Denn nicht zuletzt spielt Tierwohl als Marketinginstrument alle Stückerln. Allzu gern verknüpfte die AMA ihr Siegel mit dem Mythos einer heilen Welt der Landwirtschaft, lud Lebensmittel aus Österreich mit Werten auf, die der Realität schlicht nicht standhielten – mit Ferkeln im Stroh etwa.

Dass derzeit nur ein Bruchteil aller Schweine darin wühlen darf, findet sich allein im Kleingedruckten. Neue Kampagnen versuchen, realistischere Bilder konventioneller Tiermast zu vermitteln. Das wiederum bringt Bauern gegen die AMA auf.

Kennzeichnung der Tierhaltung

Bewegung in den angespannten Markt könnte die geplante freiwillige Tierhaltungskennzeichnung auf Initiative der AMA und des Gesundheitsministeriums gemeinsam mit großen Supermarktkonzernen bringen. Bis Jahresende sollte sie auf dem Tisch liegen.

Mittlerweile zeichnet sich diese Branchenvereinbarung für das erste Halbjahr 2023 ab. Es spießt sich an Details. Zum einen an der Frage der Kontrolle, für die viele Amtstierärzte schon bisher personell wenig Ressourcen hatten. Zum anderen an der Form der Kennzeichnung. Die AMA hat naturgemäß wenig Interesse daran, im Stufensystem mit Mindeststandards schlecht auszusehen. (Verena Kainrath, 14.12.2022)