Bereits mit vier Jahren sprechen viele Kinder meist fehlerfrei und greifen dabei auf einen großen Wortschatz zurück. Warum das so ist, haben nun Forschende am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften herausgefunden.

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Eine Fremdsprache zu lernen ist Knochenarbeit, Vokabeln und Grammatik müssen mühsam gelernt werden, ehe eine richtige Unterhaltung möglich wird. Umso erstaunlicher ist es, dass sich Kinder ihre Erstsprache scheinbar mühelos aneignen: Schon mit vier Jahren sprechen viele Kinder mehr oder weniger fehlerfrei und mit einem überraschend großen Wortschatz. Wie das kindliche Gehirn das schafft, haben nun Forschende vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig entschlüsselt.

Einzelne Wörter tragen zwar die Bedeutung eines Satzes, aber erst die Grammatik setzt die Wörter in Beziehung zueinander und an ihren richtigen Platz. Ein Beispiel zur Illustration: Bei der Aussage "Der Hund der Hase schubsen", in der nur die Grundform der Wörter verwendet wird, würde man wahrscheinlich denken, der Hund schubst den Hasen. Erst wenn grammatikalische Regeln zur Anwendung kommen, wird klar, dass das Gegenteil gemeint ist: "Den Hund schubst der Hase."

Komplexe Sätze ab dem vierten Lebensjahr

Kinder müssen diese Regeln erst lernen und sie schaffen das, ohne dass ihnen jemand die grammatikalischen Regeln explizit erklärt. "Bis zu ihrem dritten Geburtstag können Kinder zwar schon einfachere Regeln anwenden, aber erst ab dem vierten Lebensjahr fangen sie an, auch kompliziertere Sätze zu verstehen und zu produzieren", sagt Cheslie C. Klein vom MPI CBS. "Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, welche Reifungsprozesse im Gehirn mit diesem Meilenstein in der Sprachentwicklung einhergehen."

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat sie den grammatikalischen Sprachstand von Kindern zwischen drei und vier Jahren sowohl beim Verstehen als auch beim Sprechen von Sätzen mithilfe unterschiedlicher Sprachspiele untersucht. Neben der Sprachfähigkeit wurde auch ein Bild des Gehirns der Kinder im Magnetresonanztomografen (MRT) aufgenommen, um den Reifestand bestimmter Hirnareale zu bestimmen. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal "Cerebral Cortex" veröffentlicht.

Gereiftes "Sprachnetzwerk"

Die Forschenden konnten dabei beobachten, dass die Entwicklung der allgemeinen und grammatikalischen Sprachfähigkeit der Kinder mit der Reifung von Hirnstrukturen innerhalb des sogenannten "Sprachnetzwerks" einherging. "Bei Erwachsenen wurde bereits mehrfach gezeigt, dass in diesem Netzwerk verschiedene Hirnareale zusammenarbeiten, um Sprachverständnis und -produktion zu ermöglichen", sagte Klein. "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Reifung des Sprachnetzwerkes auch den allgemeinen Sprach- und speziell den Grammatikerwerb bei Kindern zwischen drei und vier Jahren unterstützt."

"Besonders spannend für uns war zu sehen, dass die Reifung einer spezifischen Hirnregion – welche als Kernregion für Grammatik gilt – mit den Grammatikfähigkeiten der vierjährigen Kinder zusammenhing, nicht aber mit jenen der Dreijährigen", ergänzt Koautorin Angela D. Friederici vom MPI CBS.

Unterstützung durch das Broca-Areal

Die aktuellen Ergebnisse deuten also darauf hin, dass der entscheidende Meilenstein im Spracherwerb erst durch die Unterstützung des sogenannten Broca-Areals in der Großhirnrinde bei der Verarbeitung komplexer Grammatik ermöglicht wird. Die Resultate liefern nicht nur neue Einblick in die neuronalen Prozesse, die zu einer erfolgreichen Sprachentwicklung beitragen, sie ermöglichen laut Friederici auch ein besseres Verständnis für Entwicklungsverzögerungen oder sogar Störungen im Spracherwerb. (red, 14.12.2022)